Anwalt muss Zugang beim Mandanten erfragen
Bislang herrschte im Bereich des Anwaltshaftungsrechts die recht klare Linie der Rechtsprechung, dass der Rechtsanwalt den Informationen des Mandanten im Grundsatz vertrauen kann und nicht gehalten ist, die Mandanteninformationen ohne konkreten Anlass zu hinterfragen.
Der Bundesgerichtshof hatte hierzu in seiner Entscheidung vom 14. Februar 2019 jedoch eine Differenzierung vorgenommen und klargestellt, dass der Anwalt zwar den Tatsachenangaben des Mandanten vertrauen dürfe; bei Rechtstatsachen hat der Rechtsanwalt jedoch die Pflicht, für Klarheit zu sorgen, weil der Mandant hier nicht selten juristischen Fehlwertungen unterliegen kann. Vertraut der Rechtsanwalt falschen Rechtstatsachenschilderungen des Mandanten kann dies im Mandat unter Umständen erhebliche Nachteile mit sich bringen. Der Rechtsanwalt ist daher gehalten, solche Informationen zu hinterfragen, will er den für den Mandanten gebotenen sichersten Weg einschlagen.
Was war passiert? Im vom BGH entschiedenen Ausgangsfall hatte der Mandant mitgeteilt, ihm sei ein Kündiungsschreiben des Arbeitgebers am 23. Dezember zugestellt worden. Die exakt drei Wochen später am 13. Januar gegen die Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom Rechtsanwalt eingereichte Kündigungsschutzklage wurde aufgrund Verfristung abgewiesen und der Mandant verlor den Rechtsstreit, weil die Klage nicht binnen der gesetzlich vorgesehenen Frist von drei Wochen ab Zugang der Kündigung eingereicht worden ist.
Denn tatsächlich hatte der Mandant das Kündiungsschreiben erst am 23. Dezember aus dem Briefkasten entnommen; es war ihm jedoch bereits am 22. Dezember per Boten dort in den Briefkasten gelegt worden. Rechtlich gesehen, war demnach der 22. Dezember der Tag des Zugangs der Kündigung und nicht derjenige Tag, an welchem der Mandant das Schreiben aus dem Briefkasten entnommen und gelesen hatte. Demnach begann die Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage bereits einen Tag früher zu laufen und die am 13. Januar eingerichte Klage erreichte das Gericht einen Tag zu spät.
Der BGH hatte im Haftungsprozess gegen den Rechtsanwalt hierzu dessen Verantwortlichkeit festgestellt, nachdem das Berufungsgericht zuvor eine Haftung noch abgelehnt hatte. Der Rechtsanwalt hätte der Angabe des Mandanten nicht blindlings vertrauen dürfen, weil die Frage des Zugangs juristischer Bewertung unterliegt; der Rechtsanwalt hätte damit rechnen müssen, dass das Schreiben bereits vor der Kenntnisnahme des Mandanten im rechtlichen Sinne zugestellt worden war. Hierzu gab es in jenem Fall zusätzlichen Anlass, weil auf dem Schreiben „per Boten“ vermerkt war.
Dem Mandanten steht demnach ein Schadensersatzanspruch gegen seinen Rechtsanwalt zu.
Den Volltext der Entscheidung des Bundesgerichtshofs finden Sie hier.