Anwalt muss Berufungsbegründung eigenverantwortlich prüfen
Der Bundesgerichtshof hatte sich jüngst wieder mit einer „kreativen“ Form der Mandatsbearbeitung durch einen Rechtsanwalt zu befassen. Anlässlich dieses Verfahrens sah sich der BGH veranlasst, zur eigenverantwortlichen Prüfung des Inhalts der Berufungsbegründungsschrift durch den unterzeichnenden Rechtsanwalt Stellung zu nehmen.
Was war passiert? Der Rechtsanwalt vertrat mehrere Beklagte in einem Berufungsverfahren und reichte eine von ihm unterschriebene 81-seitige Berufungsbegründung beim Berufungsgericht ein. Das Berufungsgericht hatte diese Berufung allerdings für unzulässig gehalten, weil sie entgegen der gesetzlichen Vorgabe aus § 520 Abs. 3 i.V.m. § 78 Abs. 1 ZPO nicht von einem postulationsfähigen Rechtsanwalt begründet worden sein soll. Denn nach dem Inhalt des Schriftsatzes habe außer Zweifel gestanden, dass der Rechtsanwalt lediglich die erste Seite verfasst und den Schriftsatz ohne eigene Prüfung unterzeichnet habe.
Zwar sei die juristische Qualität eines Schriftsatzes für seine Beurteilung als Rechtsmittelbegründung grundsätzlich unerheblich. Aber aus den sonstigen Umständen, insbesondere der wirren Gestaltung der Anträge und des Schriftsatzes im Vergleich zu der sonstigen Qualität der Schriftsätze des Rechtsanwalts sowie u.a. der Tatsache, dass dieser der Bitte des Gerichts um Konkretisierung der Anträge nicht nachgekommen sei, lasse sich der Schluss ziehen, dass die Seiten 2 bis 81 von der Beklagten zu 1 herrührten und von dem Rechtsanwalt unbesehen unterzeichnet worden seien. Dessen spätere Stellungnahme führe nicht zu einer anderen Bewertung, da der Rechtsanwalt darin nur darlege, dass er den Schriftsatz unterzeichnet und an das Gericht übersandt habe.
Der BGH hat in der Beschwerdeentscheidung über die Nichtzulassung der Revision ausgeführt, dass das Berufungsgericht die gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt habe, wonach die Unterzeichnung der Berufungsbegründung durch einen postulationsfähigen Rechtsanwalt keine bloße Formalität darstellt, sondern zugleich äußerer Ausdruck für die von dem Gesetz geforderte eigenverantwortliche Prüfung des Inhalts der Begründungsschrift durch den Anwalt ist.
Mit den Regelungen über den Anwaltszwang ( § 78 Abs. 1 ZPO ) und über den notwendigen Inhalt einer Berufungsbegründung ( § 520 Abs. 3 ZPO ) soll erreicht werden, dass ein mit dem Verfahren vertrauter Rechtsanwalt dem Gericht und dem Gegner den Sachverhalt unter bestimmter Bezeichnung der im einzelnen anzuführenden Anfechtungsgründe nach persönlicher Durcharbeitung des Prozessstoffs vorträgt. Die Berufungsbegründung muss deshalb Ergebnis der geistigen Arbeit des Berufungsanwalts sein. Zwar ist der Anwalt nicht gehindert, die Berufungsbegründung von anderen Personen, etwa von einem Referendar, vorbereiten zu lassen. Erforderlich ist aber, dass der unterzeichnende Anwalt die Berufungsbegründung selbständig prüft und aufgrund der Prüfung die volle Verantwortung für den Schriftsatz übernimmt. Aus Gründen der Rechtssicherheit begnügt sich das Gesetz hinsichtlich dieser Anforderungen allerdings mit dem äußeren Merkmal der Unterschrift, ohne einen darüberhinausgehenden Nachweis zu fordern, dass der Anwalt den Prozessstoff eigenverantwortlich durchgearbeitet hat und die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes tragen will. Für ein Berufungsgericht besteht deshalb in aller Regel kein Anlass, den Inhalt einer anwaltlich unterschriebenen Berufungsbegründung darauf zu überprüfen, in welchem Umfang und wie gründlich der Anwalt den Prozessstoff tatsächlich selbst durchgearbeitet hat.
Ausnahmen hiervon werden in der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung für zwei Fallgruppen anerkannt, nämlich zum einen, wenn der Anwalt sich durch einen Zusatz von dem unterschriebenen Schriftsatz distanziert, und zum anderen, wenn nach den Umständen außer Zweifel steht, dass der Rechtsanwalt den Schriftsatz ohne eigene Prüfung, also unbesehen, unterschrieben hat. Zur letztgenannten Fallgruppe werden insbesondere Rechtsmittelbegründungsschriftsätze gerechnet, die weitgehend unverständlich sind und Ausführungen enthalten, die mit dem Urteil des erstinstanzlichen Gerichts in keinem Zusammenhang stehen bzw. nach deren Inhalt schlechthin auszuschließen ist, dass der Anwalt sie in der gebotenen Weise überprüft haben kann.
So lag der Fall hier. Die Seiten 2 bis 81 der Berufungsbegründung seien geprägt durch Unübersichtlichkeit, Redundanz und schwere Verständlichkeit. Die rechtlichen Ausführungen seien zum Teil Ausdruck einer rechtlichen Unkenntnis, wie sie bei einem Rechtsanwalt im Allgemeinen und bei dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten im Besonderen nicht zu erwarten sei. Die für das Berufungsverfahren essentiellen Anträge fänden sich sowohl am Beginn als auch am Ende des Schriftsatzes, ohne dass sofort eindeutig klar werde, was eigentlich beantragt werde und in welchem Verhältnis die Anträge zu dem erstinstanzlichen Urteil stünden. Zitierungen erfolgten ohne Fundstellen („vgl. Kommentierungen zu § 138“), was – wie jeder Jurist wisse – mangels konkreter Angaben sinnlos sei.
Im Ergebnis hat der BGH demnach die Entscheidung des Berufungsgerichts zur Unzulässigkeit der Berufung bestätigt, weist aber zu Recht darauf hin, dass die nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eingegangene Stellungnahme des Rechtsanwalts und dessen späteres Verhalten, namentlich die unterbliebene Konkretisierung der Anträge trotz gerichtlicher Aufforderung, in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung sind. Denn Umstände dieser Art könnten eine den Anforderungen entsprechende Begründungsschrift nicht nachträglich unwirksam machen. Umgekehrt könnte eine nicht ordnungsgemäße Begründungsschrift nach Fristablauf nicht mehr ergänzt werden. Entgegen der Ansicht der Nichtzulassungsbeschwerde war das Berufungsgericht daher auch nicht gehalten, den Rechtsanwalt – wie beantragt – als Zeugen zu vernehmen. Der Zeugenbeweis wäre ungeeignet, weil die Entscheidung darüber, ob die Frist des § 520 Abs. 2 ZPO gewahrt ist, allein auf der Grundlage der innerhalb der Frist eingereichten Schriftsätze – die aus sich heraus auszulegen sind – getroffen werden kann.