Beweislastumkehr in der Anwaltshaftung
Grundsätzlich liegt die Beweislast im Anwaltshaftungsprozess eindeutig beim geschädigten Mandant, der den Anwalt für einen erlittenen Schaden verantwortlich macht. Im Urteil vom 16. Juni 2005 (IX ZR 27/04) hat der Bundesgerichtshof eine wichtige Entwicklung eingeleitet, die die Verteilung der Beweislast in solchen Fällen betrifft und die Maßstäbe verändert.
Will der Mandant den Rechtsanwalt in Regress nehmen, muss er nicht nur beweisen, dass dem Rechtsanwalt eine schuldhafte Pflichtverletzung anzulasten ist, sondern er muss auch beweisen, dass ihm hierdurch ein ursächlicher Schaden entstanden ist.
Zwei zentrale Fragen standen dabei im Mittelpunkt der Entscheidung:
- Im Falle eines verlorenen Ausgangsprozesses stellt sich aber einerseits die Frage, ob im späteren Regressverfahren Beweismittel verwertet werden dürfen, die der Entscheidung im Ausgangsverfahren nicht zugrunde lagen. Wann ist es gerechtfertigt, Beweismittel zu ignorieren, die die mögliche Falschheit eines früheren Urteils aufzeigen könnten?
- Der BGH argumentierte, dass das Regressgericht zu bewerten hat, wie der Ausgangsrechtsstreit ohne die anwaltliche Pflichtverletzung richtiger Weise zu entscheiden gewesen wäre. Wird dem Rechtsanwalt vorgeworfen, pflichtwidriger Weise gebotenen Tatsachenvortrag nicht gemacht oder Beweismittel nicht eingereicht zu haben, so kann das Regressgericht diesen Vortrag und diese Beweismittel bei seiner Entscheidung zugrunde legen.
- Der BGH führt aus, dass neu aufgetauchte Beweismittel nur dann unbeachtet bleiben müssen, wenn sie im ursprünglichen Prozess unter keinen Umständen hätten beigebracht werden können. Ein konkretes Beispiel für die Entschiedung war ein verspätet eingereichtes Privatgutachten, dessen Verwendung dem Gericht möglicherweise neue Erkenntnisse verschafft hätte. Dieses Gutachten konnte im Regressverfahren berücksichtigt werden.
- Kann von einer Partei verlangt werden, hypothetische Umstände zu beweisen, die durch die Pflichtverletzung des Anwalts entstanden sind?
- Grundsätzlich trägt der Mandant im Regressverfahren auch die Beweislast für den hypothetischen Verlauf des Ausgangsverfahrens. Der Mandant muss Beweisen, dass das Ausgangsverfahren ohne die anwaltliche Pflichtverletzung zu seinen Gunsten entschieden worden wäre.
- Beruft sich der verklagte Rechtsanwalt jedoch darauf, dass der Mandant nach allen hypothetischen Verläufen im Ausgangsverfahren unterlegen wäre, so soll die Beweislastverteilung nach der Entscheidung des BGH verändert werden. In dieser Hinsicht hat der BGH entschieden, dass es nicht gerechtfertigt ist, von der geschädigten Partei zu verlangen, solche hypothetischen Szenarien zu beweisen. Stattdessen liegt die Beweislast beim Anwalt, der nachweisen muss, dass der Ausgang des Prozesses trotz seiner Pflichtverletzung unverändert gewesen wäre.
Dieses wegweisende Urteil markiert einen bedeutenden Schritt hin zu mehr Transparenz und Fairness in der Anwaltshaftung. Es legt den Grundstein für eine differenziertere Betrachtung von Haftungsfällen und stellt sicher, dass sowohl Mandanten als auch Anwälte gleichermaßen zur Rechenschaft gezogen werden können.
Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier.