Aufatmen für Arbeitgeber in Bezug auf Annahmeverzugsrisiko?
Eine für Arbeitgeber, die dem Kündigungsschutzgesetz unterfallen, ständige Kostengefahr, ist das sogenannte Annahmeverzugsrisiko im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens. Kommt ein Arbeitsgericht am Ende des Verfahrens zu dem Ergebnis, dass die Kündigung unwirksam war, schuldet der Arbeitgeber nach § 11 KSchG dem (unwirksam) gekündigten Arbeitnehmer nicht nur die Fortsetzung des bisherigen Arbeitsverhältnisses, sondern auch die rückwirkende Zahlung sämtlicher Löhne bzw. Gehälter, die zwischen dem Ablauf der Kündigungsfrist und dem Urteilsspruch lagen.
In Anbetracht der Tatsache, dass solche Verfahren allein bis zum Abschluss der ersten Instanz oftmals 6 – 12 Monate und im Falle einer weiteren Instanz (Berufungsverfahren) zumeist weitere 6 – 12 Monate dauern, und Arbeitgeber außerdem im Rahmen von Kündigungsschutzprozessen vollumfänglich darlegungs- und beweisbelastet für einen personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Kündigungsgrund sind, somit bereits aus prozessualer Sicht oftmals nur geringe Prozessaussichten haben, waren Arbeitgeber stets einem hohen Kostenrisiko ausgesetzt.
Ein Nachzahlungsanspruch entfällt nur dann gemäß § 11 Nr. 2 KSchG, wenn der Arbeitgeber nachweisen kann, dass der Arbeitnehmer im Annahmeverzugszeitraum entweder eine Vergütung aus einer anderen Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber tatsächlich erzielt hat, sog. Zwischenverdienst, oder wenn der Arbeitnehmer es böswillig unterlassen hat, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen. In der Praxis ist diese Regelung aber zumeist leer gelaufen, denn der Arbeitgeber hatte keine Kenntnis, ob der Arbeitnehmer ihm zumutbare Arbeit abgelehnt hatte und erst recht nicht, ob dies böswillig erfolgte. Während der Arbeitgeber also das Schlimmste befürchtend den Ausgang des Prozesses abwarten musste, befanden sich die Arbeitnehmer in der bequemen Position, dass Sie nach Erhebung der Kündigungsschutzklage darauf vertrauen konnten mit recht hoher Wahrscheinlichkeit den Prozess zu gewinnen und währenddessen keine Anstrengungen unternehmen mussten, einen Zwischenverdienst zu erzielen, weil Sie bei Prozessgewinn sämtliche Annahmeverzugsvergütung vom Arbeitgeber fordern und auch gerichtlich durchsetzen konnten.
Mit Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 27.05.2020, 5 AZR 387/19, könnte es jetzt zu einer Änderung der bisherigen Praxis kommen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber zur Auskunft über persönliche Vermittlungsangebote der Agentur für Arbeit und des Jobcenters nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verpflichtet ist, wenn der Arbeitgeber Vergütung wegen Annahmeverzugs fordert und die Einwendung böswillig unterlassenen anderweitigen Erwerbs wahrscheinlich begründet ist. Das BAG führte insoweit aus, dass die geforderte Wahrscheinlichkeit für die Einwendung von böswillig unterlassener anderweitiger Arbeit bereits dann vorliegt, wenn sich der Arbeitnehmer arbeitssuchend bei der Agentur für Arbeit meldet und es keine Anhaltspunkte gibt, dass die Behörde ihren gesetzlichen Aufgaben nicht nachgekommen sind bzw. keine anderen Gründe vorliegen, nach denen ein böswilliges Unterlassen erkennbar ausscheidet.
Ein Anspruch auf Auskunft hinsichtlich der öffentlich zugänglichen Arbeitsangebote, beispielsweise auf der Online-Plattform der Arbeitsagentur, besteht aber nicht, weil sich nach Ansicht des BAG ein Arbeitgeber insoweit selber kundig machen könne, was er bei persönlich dem Arbeitnehmer unterbreiteten Arbeitsangeboten durch die Agentur für Arbeit gerade nicht könne.
Führt diese Entscheidung des BAG nun dazu, dass sich plötzlich das Rad dreht und nunmehr der Arbeitnehmer fürchten muss, Annahmeverzugsansprüche nicht mehr durchsetzen zu können, selbst wenn er im Kündigungsschutzprozess obsiegt?
Nun soweit kann man wohl nicht gehen, denn um die Annahmeverzugsansprüche erfolgreich abwehren zu können, muss der Arbeitgeber auch weiterhin mehr tun, als die Auskunft vom Arbeitnehmer zu fordern. Das BAG führt hierzu im o.g. Urteil aus:
„…Denn mit der erteilten Auskunft steht keineswegs fest, dass der Arbeitnehmer es böswillig unterlassen hat, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen. Ob die Stellenangebote Dritter „zumutbare“ Arbeit zum Gegenstand hatten und in dem Verhalten des Arbeitnehmers ein „böswilliges“ Unterlassen gesehen werden kann, hat der Arbeitgeber im Rechtsstreit über die Zahlung der Annahmeverzugsvergütung weiterhin darzulegen und im Streitfall zu beweisen…“
Das BAG hat somit nur eine von vielen Hürden im Rahmen eines Annahmeverzugsprozesses für den Arbeitgeber niedriger gesetzt, als dies bislang galt. Zudem wird es ein Arbeitgeber sicherlich auch schwer haben, in einem Prozess zu beweisen, dass eine etwaige Auskunft des Arbeitnehmers in Bezug auf persönliche Arbeitsangebote durch die Agentur für Arbeit tatsächlich vollständig war. Wenn der Arbeitnehmer drei Arbeitsangebote vorträgt, woher soll der Arbeitgeber wissen, dass es keine weiteren Arbeitsangebote gab und wie soll sich eine falsche Auskunft des Arbeitnehmers herausstellen?
Möglicherweise werden sich einige weitere Fragen im Lichte der nun teilweise geänderten Rechtsprechung in der Zukunft beantworten lassen; dies bleibt abzuwarten. Wenn sich auch insgesamt die bislang eindeutig nur zu Gunsten der Arbeitnehmer bestehende Position geändert hat, führt dies im Ergebnis nicht dazu, dass Arbeitgeber den Annahmeverzug nicht mehr fürchten müssen.
Da gerade im Arbeitsrecht viele Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber in Vergleichen gelöst werden, könnte sich diese Rechtsprechungsänderung aber doch zu Gunsten der Arbeitgeber auswirken. Bislang hat die Arbeitnehmerseite im Rahmen von Abfindungsverhandlungen oftmals mit dem erheblichen Annahmeverzugsrisiko gedroht und so versucht, eine höhere Abfindung zu verhandeln. Die geänderte Rechtsprechung des BAG könnte nun zumindest dieser Taktik ein wenig Wind aus den Segeln nehmen.