Neue Beweislastverteilung in Überstundenvergütungsprozessen?
Mit unseren Artikeln im Arbeitsrecht vom 10. Februar und 10. März 2016 hatten wir bereits ausführlich behandelt, welche Voraussetzungen das Bundesarbeitsgericht für die Durchsetzung von Überstundenvergütungsprozessen anlegt. Zwischenzeitlich hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 14.05.2019, Rs. C-55/18 [CCOO], entschieden, dass Arbeitgeber ein objektives, verlässliches und zugängliches System zur Arbeitszeiterfassung einsetzen müssen. Das Arbeitsgericht Emden entschied nun mit Urteil vom 20.02.2020 – 2 Ca 94/19 -, dass sich diese Verpflichtung für Arbeitgeber aus der unmittelbaren Anwendung von Art. 31 Abs. 2 der EU-Grundrechte-Charta ergäbe und eine Umsetzung durch den deutschen Gesetzgeber oder eine richtlinienkonformen Auslegung des § 16 Abs. 2 ArbZG entbehrlich sei. Das Gericht führte weiter aus, dass ein Verstoß gegen vertragliche Nebenpflichten vorläge, wenn der Arbeitgeber dieser Verpflichtung nicht nachkäme, mit dem Ergebnis, dass vom Arbeitnehmer im Prozess vorgelegte Eigenaufzeichnungen unter Angabe der Daten von wann bis wann an welchen Tagen gearbeitet worden sei, vom Arbeitgeber als gemäß § 138 Abs. 3 ZPO prozessrechtlich zugestanden anzusehen seien, weil der Arbeitgeber seinerseits mangels Aufzeichnungen keine ausreichend substantiierten Einwendungen vorbringen könne.
Vereinfacht ausgedrückt heißt dies also: Kann der Arbeitnehmer anhand von Eigenaufzeichnungen plausible Behauptungen zu Arbeitszeiten aufstellen und ist der Arbeitgeber nicht in der Lage, hierzu konkret Stellung zu nehmen, weil er keine Arbeitszeitaufzeichnungen vorgenommen hat, dann unterliegt der Arbeitgeber nach Rechtsansicht des Arbeitsgerichts Emden. Nun ist die Auffassung einer Kammer des Arbeitsgerichts Emden sicherlich nicht für ganz Deutschland verbindlich. Sollte sich diese Rechtsauffassung allerdings durchsetzen, dürften hier für Arbeitgeber ohne Arbeitsaufzeichnungen erhebliche Risiken entstehen.