Überstundenvergütung vor Gericht durchsetzen
Überstunden werden zumeist vom Arbeitgeber ohne größeres Aufsehen vergütet, da der Arbeitgeber den Mehrwert erkennt, wenn der Arbeitnehmer Überstunden leistet. Manchmal streiten sich allerdings Arbeitnehmer und Arbeitgeber, ob und ggf. wie viele Überstunden zu zahlen sind. Immer wieder werden wir gefragt, wie man Überstundenvergütung vor Gericht durchsetzen kann. Eine einfache Antwort hierauf gibt es – wie so oft im Recht – leider nicht. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat allerdings mit seinem Urteil vom 10.04.2013, Az 5 AZR 122/12, Grundsätze aufgestellt, wer vor Gericht welche Darlegungs- und Beweislasten trägt. Insoweit führt das BAG fünf Punkte auf:
Punkt 1.)
Neben der Überstundenleistung setzt der Anspruch auf Überstundenvergütung voraus, dass die Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt, geduldet oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig gewesen sind.
Hier wird klar ersichtlich, dass nicht jede geleistete Überstunde zu vergüten ist, sondern nur angeordnete, gebilligte, geduldete oder notwendige. Das BAG konkretisiert dies noch wie folgt:
Punkt 2.)
Für eine ausdrückliche Anordnung von Überstunden muss der Arbeitnehmer vortragen, wer wann auf welche Weise wie viele Überstunden angeordnet hat.
Das BAG erlegt hier dem Arbeitnehmer auf, zu den Überstunden und deren Anordnung konkret vorzutragen. D.h. es muss nicht nur der Vorgesetzte benannt werden, der die Überstunden angeordnet hat, sondern auch, wie dessen Anordnung erfolgte (mündlich, schriftlich, per Email, etc.) und wie viele Überstunden und für welchen Zeitraum diese angeordnet wurden.
Punkt 3.)
Konkludent ordnet der Arbeitgeber Überstunden an, wenn er dem Arbeitnehmer Arbeit in einem Umfang zuweist, der unter Ausschöpfung der persönlichen Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers nur durch die Leistung von Überstunden zu bewältigen ist. Dazu muss der Arbeitnehmer darlegen, dass eine bestimmte angewiesene Arbeit innerhalb der Normalarbeitszeit nicht zu leisten oder ihm zur Erledigung der aufgetragenen Arbeiten ein bestimmter Zeitrahmen vorgegeben war, der nur durch die Leistung von Überstunden eingehalten werden konnte.
Erfolgt die Anordnung nicht ausdrücklich, sondern dadurch, dass der Arbeitnehmer mit Arbeitsaufgaben „zugeschüttet wird“, er also zwangsläufig Überstunden zur Erledigung aufbringen muss, dann kann dies auch ausreichen. Allerdings erlegt das BAG dem Arbeitnehmer auch hier auf, konkret vorzutragen, weshalb die angewiesene Arbeit nicht in der Normalzeit zu schaffen war. Aber Achtung, allein die Anwesenheit des Arbeitnehmers im Betrieb oder an einem Arbeitsort außerhalb des Betriebs stellt keine Vermutung dafür dar, dass Überstunden zur Erbringung der geschuldeten Arbeit notwendig gewesen sind.
Punkt 4.)
Mit der Billigung von Überstunden ersetzt der Arbeitgeber gleichsam durch eine nachträgliche Genehmigung die fehlende vorherige Anordnung schon geleisteter Überstunden. Der Arbeitnehmer muss darlegen, wer wann auf welche Weise zu erkennen gegeben habe, mit der Leistung welcher Überstunden einverstanden zu sein.
Die Billigung von Überstunden muss nicht ausdrücklich erfolgen und kann insbesondere dann anzunehmen sein, wenn der Arbeitgeber oder ein für ihn handelnder Vorgesetzter des Arbeitnehmers eine bestimmte Anzahl von Stunden abzeichnet und damit sein Einverständnis mit einer Überstundenleistung ausdrückt. Dazu reicht aber die widerspruchslose Entgegennahme der vom Arbeitnehmer gefertigten Arbeitszeitaufzeichnungen nicht aus.
Punkt 5.)
Die Duldung von Überstunden bedeutet, dass der Arbeitgeber in Kenntnis einer Überstundenleistung diese hinnimmt und keine Vorkehrungen trifft, die Leistung von Überstunden fürderhin zu unterbinden, er also nicht gegen die Leistung von Überstunden einschreitet, sie vielmehr weiterhin entgegennimmt. Dazu muss der Arbeitnehmer darlegen, von welchen wann geleisteten Überstunden der Arbeitgeber auf welche Weise wann Kenntnis erlangt haben soll und dass es im Anschluss daran zu einer weiteren Überstundenleistung gekommen ist. Erst wenn dieses feststeht, ist es Sache des Arbeitgebers, darzulegen, welche Maßnahmen er zur Unterbindung der von ihm nicht gewollten Überstundenleistung ergriffen hat.
Betrachtet man die fünf genannten Punkte noch einmal, kommt man zu dem Ergebnis, dass das BAG die Darlegungs- und Beweislast für erbrachte Überstunden und deren Anordnung, Billigung, Duldung oder Notwendigkeit zur Erledigung der geschuldeten Arbeit zunächst ausschließlich dem Arbeitnehmer auferlegt. Dies mag auf den ersten Blick „unfair“ erscheinen. Allerdings ist es grundsätzlich im Zivilrecht – und damit auch im Arbeitsrecht – so, dass derjenige, der einen Anspruch vor Gericht geltend macht, auch die hierfür notwendigen Voraussetzungen darzulegen und zu beweisen hat. Das BAG folgt damit lediglich den üblichen Regeln. Für den Arbeitnehmer bedeutet das, dass er im Falle von erbrachten Überstunden sicherstellen sollte, diese z.B. mittels Aufzeichnungen, Zeugen und/oder Erklärungen des Arbeitgebers im Zweifel auch vor Gericht beweisen können sollte.
Mit einem relativ aktuellen Urteil vom 25.03.2015, Az 5 AZR 602/13, hat das BAG allerdings eine kleine Erleichterung für Arbeitnehmer festgestellt:
Steht für das Gericht im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO fest, dass Überstunden auf Veranlassung des Arbeitgebers geleistet worden sind, kann aber der Arbeitnehmer seiner Darlegungs- oder Beweislast für jede einzelne Überstunde nicht in jeder Hinsicht genügen, darf das Gericht den Mindestumfang geleisteter Überstunden nach § 287 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ZPO schätzen. Eine Schätzung nach § 287 Abs 1 ZPO darf nur dann unterbleiben, wenn sie mangels jeglicher konkreter Anhaltspunkte vollkommen „in der Luft hinge“ und daher willkürlich wäre. Die für eine Schätzung unabdingbaren Anknüpfungstatsachen muss der Geschädigte im Regelfall darlegen und beweisen.
Das BAG eröffnet damit Arbeitnehmern die Möglichkeit, dennoch einen Teil ihrer geleisteten Überstunden vergütet zu erhalten, wenn sie zwar vor Gericht nachweisen können, dass Überstunden auf Veranlassung des Arbeitgebers geleistet wurden, aber nicht mehr jede einzelne Überstunde genau nachweisen können, etwa weil zeitnahe Arbeitszeitaufschriebe fehlen, der Arbeitgeber das zeitliche Maß der Arbeit nicht kontrolliert hat oder Zeugen nicht zur Verfügung stehen. Hierfür muss der Arbeitnehmer dem Gericht aber Schätzungsgrundlagen mitteilen, die von Fall zu Fall verschieden sein werden.
Trotz der vorstehenden Entscheidung des BAG bleibt es beim Grundsatz, dass der Arbeitnehmer in Überstundenvergütungsprozessen absolut überwiegend darlegungs- und beweisbelastet bleibt. Oftmals in Arbeits- oder Tarifverträgen vereinbarte Verfallsklauseln, die etwaige Ansprüche nach einer gewissen Zeit verfallen lassen, erschweren dem Arbeitnehmer die Durchsetzung von Überstundenvergütungen zusätzlich. Im Zweifel sollten Arbeitnehmer also zeitnah bestehende Ansprüche beim Arbeitgeber geltend machen bzw. sich hierzu Rechtsrat einholen.
Schaum & Wilk Rechtsanwälte stehen Ihnen hierfür als kompetente Ansprechpartner gerne zur Verfügung.