Beweiserleichterungen für den Mandanten im Anwaltshaftungsrecht
Der Haftungsanspruch des Mandanten gegen den früheren Rechtsanwalt ist ein Schadensersatzanspruch, der unter anderem voraussetzt, dass dem Rechtsanwalt eine Pflichtverletzung aus dem Mandatsvertrag nachgewiesen werden kann. In der Praxis ist jedoch viel problematischer, ob auch die weiteren Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches erfüllt sind und nachgewiesen werden können. Neben dem Umstand, dass dem Mandanten überhaupt ein Schaden entstanden sein muss, ist häufig problematisch, ob der Fehler des Anwalts gerade für den Eintritt dieses Schadens ursächlich gewesen ist (Kausalität).
Wird dem Rechtsanwalt beispielsweise vorgeworfen, er habe den Mandanten nicht oder nicht zutreffend über eine drohende Verjährung seiner Ansprüche aufgeklärt und ist dann der Anspruch aufgrund der eingetretenen Verjährung nicht mehr durchsetzbar, muss der Mandant im Haftungsfall grundsätzlich darlegen und beweisen, wie er sich bei einem erfolgten Hinweis des Anwalts auf die drohende Verjährung verhalten hätte. Dieser Beweis ist in der Regel nachträglich kaum zu führen, denn er betrifft eine innere Haltung des Mandanten für einen hyptetischen Vorgang.
Aus der Rechtsprechung wurde im Anwalts- und Steuerberatervertragsrecht die Regel entwickelt, bei Verstößen gegen die Beratungspflicht spreche zu Gunsten des Mandanten die Vermutung, dieser hätte sich bei vertragsgerechtem Handeln des Beauftragten beratungsgemäß verhalten. Für unser Beispiel bedeutet dies eine Beweiserleichterung dahingehend, dass vermutet wird, der Mandant hätte bei zutreffender Aufklärung über den drohenden Verjährungseintritt auch tatsächlich verjährungshemmende Maßnahmen ergriffen.
Die Beweiserleichterung zugunsten des Mandanten gilt aber nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht generell. Sie setzt einen Tatbestand voraus, bei dem der Ursachenzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung des Beraters und einem bestimmten Verhalten seines Mandanten typischerweise gegeben ist, beruht also auf Umständen, die nach der Lebenserfahrung eine bestimmte tatsächliche Vermutung rechtfertigen.
Eine auf die Typizität eines bestimmten Geschehensablaufs gegründete Beweisregel rechtfertigt hier jedoch keine volle Beweislastumkehr; denn die Beweiserleichterung beruht hier auf Erfahrungssätzen, die im Einzelfall erschüttert werden können, wenn die konkrete Möglichkeit eines anderen Kausalverlaufs vom in die Haftung genommenen Rechtsanwalt dargetan und bewiesen wird. Im Einzelfall kann die Beweiserleichterun aber sogar bis zu einer für den Mandanten günstigen Beweislastumkehr führen. Bei der Vermutung, um die es hier geht, handelt es sich folglich um einen Anwendungsfall des Anscheinsbeweises. Nur eine solche Betrachtungsweise gelangt zu einer angemessenen Risikoverteilung zwischen dem rechtlichen Berater und seinem Mandanten, wenn sich dessen Reaktion auf vertragsgemäße Erfüllung der Hinweis- und Beratungspflichten nicht mehr klären lässt.
Problematisch kann diese Beweiserleichterung jedoch sein, wenn bei unterstellter Aufklärung durch den Rechtsanwalt mehrere Handlungsalternativen zur Verfügung stehen und nicht fest steht, welchen Weg der Mandant alsdann eingeschlagen hätte.
Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vom 16. Juli 2015 gilt: Lässt der Mandant offen, für welche von mehreren möglichen Vorgehensweisen er sich bei pflichtgemäßer Beratung entschieden hätte, ist die notwendige Schadenswahrscheinlichkeit nur gegeben, wenn diese sich für alle in Betracht kommenden Ursachenverläufe – nicht notwendig in gleicher Weise – ergibt; sie muss für alle diese Ursachenverläufe dargelegt und bewiesen werden. Dies ist also wiederum als Einschränkung der Beweiserleichterung für den Mandanten zu bewerten.