Distanzierung vom Inhalt der Berufungsbegründung als Pflichtverletzung des Rechtsanwalts
Nicht selten kommt es vor, dass der Mandant seinem Rechtsanwalt vorgeben möchte, was dieser in einem Verfahren schriftsätzlich vortragen soll. Einerseits ist der Rechtsanwalt Dienstleister und kann der Versuchung unterliegen, die Vorgaben unreflektiert an das Gericht oder die Gegenseite weiterzutragen. Nicht selten nehmen Rechtsanwälte die Entwürfe des Mandanten als willkommene Arbeitshilfe und kopieren dessen Text in den eigenen Schriftsatz. Dies Vorgehensweise bringt jedoch in mehrerlei Hinsicht Probleme mit sich.
Der Rechtsanwalt ist unabhängiges Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO). Der Rechtsanwalt hat seinen Beruf gewissenhaft auszuüben. Er hat sich innerhalb und außerhalb des Berufes der Achtung und des Vertrauens, welche die Stellung des Rechtsanwalts erfordert, würdig zu erweisen, § 43 BRAO. Die berufsrechtlichen Pflichten des Rechtsanwalts können demnach mit der vorbeschriebenen Vorgehensweise, Text des Mandanten „ungefiltert“ bzw. ungewürdigt oder ungesehen weiterzuleiten, in einem Konflikt stehen.
Aber auch in prozessualer Hinsicht kann das Vorgehen des Rechtsanwalts durchaus problematisch sein und den Rechtsanwalt auch einer Haftung aussetzen. Der Rechtsanwalt kann sich unter umständen schadensersatzpflichtig machen, wenn er Textvorgaben des Mandanten oder eines Dritten in seinen bestimmenden Schriftsatz aufnimmt und sich selbst zugleich hiervon distanziert, weil er meint, hierdurch seinen berufsrechtlichen Pflichten zu genügen.
Der Bundesgerichtshof hatte in seiner Entscheidung vom 14. März 2017, Az. VI ZB 34/16 ausgeführt, dass die von dem Rechtsanwalt eingelegte Berufung deswegen nicht ordnungsgemäß begründet wurde, weil dieser sich in dem Schriftsatz vom Inhalt des Textes distanzierte und damit nicht die volle Verantwortung für den Inhalt des Schrifsatzes übernommen hat. Damit musste das Berufungsverfahren zwangsläufig verloren gehen. Für den Rechtsanwalt kann dies einen Haftungsfall darstellen.
Das Gericht führte aus:
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, Rechtsanwalt V. habe sich von dem Inhalt der von ihm unterschriebenen Berufungsbegründung distanziert und damit deutlich gemacht, dass er dafür nicht die volle Verantwortung übernehme. Dies folge aus seinen einleitenden und abschließenden eigenen Anmerkungen, auch habe er die Ausführungen des Klägers in Anführungszeichen gesetzt. Insgesamt habe Rechtsanwalt V. mit der gebotenen Eindeutigkeit zu erkennen gegeben, dass er nur eine fremde Erklärung, nämlich die des Klägers, habe übermitteln wollen. Dieses Ergebnis werde bestätigt durch die mit dem Kläger zuvor geführte Korrespondenz, die dieser dem Berufungsgericht zur Kenntnis gegeben habe. Danach seien es neben der fehlenden Erfolgsaussicht insbesondere die in den Ausführungen des Klägers enthaltenen strafrechtlichen Vorwürfe gewesen, die Rechtsanwalt V. abgelehnt habe und die es ihm unmöglich gemacht hätten, die Berufung für den Kläger zu führen und die in der vorformulierten Begründung des Klägers enthaltene Behauptung aufzustellen und zu vertreten.
Mit den Regelungen über den Anwaltszwang ( § 78 Abs. 1 ZPO ) und über den notwendigen Inhalt einer Berufungsbegründung ( § 520 Abs. 3 ZPO ) soll erreicht werden, dass ein mit dem Verfahren vertrauter Rechtsanwalt dem Gericht und dem Gegner den Sachverhalt unter bestimmter Bezeichnung der im Einzelnen anzuführenden Anfechtungsgründe nach persönlicher Durcharbeitung des Prozessstoffes vorträgt. Die Berufungsbegründung muss deshalb Ergebnis der geistigen Arbeit des Berufungsanwalts sein. Zwar ist der Anwalt nicht gehindert, die Berufungsbegründung von anderen Personen, etwa von einem Referendar, vorbereiten zu lassen. Erforderlich ist aber, dass der unterzeichnende Anwalt die Berufungsbegründung selbständig prüft und aufgrund der Prüfung die volle Verantwortung für den Schriftsatz übernimmt.
Rechtsanwalt V. hat die vom Kläger entworfene Berufungsbegründung zwar in sein eigenes Schreiben hineinkopiert und unterzeichnet, zugleich aber deutlich gemacht, dass er den Inhalt des Begründungsschriftsatzes nicht verantwortet und sich insbesondere die darin enthaltenen strafrechtlich relevanten Vorwürfe an die Gegenseite nicht zu eigen macht. Jedenfalls in der Gesamtschau der von Rechtsanwalt V. gewählten distanzierenden Stilmittel – Stellen der Anträge „auf ausdrückliche Anweisung des Klägers“, Einleiten der vom Kläger übernommenen Begründung mit dem Satz, der Kläger lasse vortragen, Setzen der vom Schriftsatz im Übrigen zusätzlich optisch klar abgesetzten Ausführungen des Klägers in Anführungszeichen und der abschließenden Relativierung der zuvor in Anführungszeichen wiedergegebenen strafrechtlich relevanten Vorwürfe – tritt zweifelsfrei zu tage, dass Rechtsanwalt V. die übermittelte Berufungsbegründung nach erfolgter Prüfung gerade nicht in der erforderlichen Weise als eigene und von ihm selbst vollständig zu verantwortende geistige Leistung verstanden wissen will, sondern dass er jedenfalls in Teilen von ihm nicht geteilte Einschätzungen seines Mandanten lediglich überbringt.
Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier.