Keine Annahmepflicht einer Zustellung von Anwalt zu Anwalt
Darf ein Rechtsanwalt ein ihm vom gegnerischen Rechtsanwalt von Anwalt zu Anwalt zugestelltes Schreiben annehmen? Muss er es annehmen? Nun bestätigte der Bundesgerichtshof (BGH Urteil v. 26.10.2015, Az. AnwSt(R) 4/15): Der Anwalt darf die Annahme verweigern.
Worum geht es? § 14 der Berufsordnung der Rechtsanwälte (BORA) normiert, dass der Rechtsanwalt ordnungsgemäße Zustellungen entgegenzunehmen und das Empfangsbekenntnis mit dem Datum versehen unverzüglich zu erteilen hat. Diese Norm gelte aber – so der BGH- nicht für die auch in § 195 ZPO normierte Zustellung von Anwalt zu Anwalt sondern nur für Zustellungen von Behörden und Gerichten.
Eine Annahmepflicht ist in § 14 BORA zwar geregelt – diese könne jedoch nicht gegenüber anderen Anwälten gelten, da die Satzungsversammlung, die die Regeln der BORA festlegt, gemäß § 59b Abs. 2 Nr. 6b) der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) besondere Pflichten im Bereich der Zustellung nur gegenüber Behörden und Gerichten festlegen kann. Auch eine extensive Auslegung des § 59b Abs. 2 Nr. 8 BRAO komme nicht in Betracht: Denn danach könne die Satzungsversammlung in der BORA zwar das berufliche Verhalten gegenüber anderen Mitgliedern der Rechtsanwaltskammer regeln, sich aber nicht in Widerspruch zu geltendem (Prozess-)Recht setzen, nach dem die Annahmeverweigerung gerade zulässig sei.
Die Diskussionen, wie die Berufsethik und das Verhalten des Rechtsanwalts ausgestaltet sein soll, wurden hierdurch erneut angefacht. Ist der Rechtsanwalt nun seinen Kollegen der Anwaltschaft oder nur seinem Mandanten verpflichtet? Für letztere Auffassung spricht, dass das Bundesverfassungsgericht bereits vor vielen Jahren mit der Bastille-Entscheidung das anwaltliche Standesrecht aufgehoben hatte (BVerfG Beschluss v. 14.07.1987, Az. 1 BvR 537/81, 1 BvR 195/87).
Auf der anderen Seite ist in § 195 ZPO die Zustellung von Anwalt zu Anwalt gerade gesetzlich vorgesehen. Naheliegend wäre eigentlich, daraus bei Nichtannahme eine Zustellungsfiktion abzuleiten, wie das auch sonst im Rechtsverkehr üblich ist. Dies geschieht jedoch nicht, denn die Norm schafft zwar die Möglichkeit einer solchen Zustellung aber keine Pflicht zur Entgegennahme der Zustellung durch den Rechtsanwalt als Empfänger.
Für die Praxis folgt derzeit aus der Entscheidung:
- Der Rechtsanwalt muss keine Zustellungen von Anwalt zu Anwalt entgegen nehmen. Vielmehr sollte er überprüfen, ob durch die Annahme seinem Mandanten ein Nachteil erwachsen kann. In diesem Fall kann es sogar als Pflichtverletzung angesehen werden, wenn die Zustellung angenommen und das Empfangsbekenntnis unterzeichnet wird.
- Auf der Gegenseite sollte berücksichtigt werden, dass insbesondere bei rechts- und fristwahrenden Angelegenheiten die Zustellung von Anwalt zu Anwalt unsicher sein kann, denn es besteht die Gefahr, dass der gegnerische Anwalt die Zustellung nicht annimmt und hierdurch ein Rechtsverlust eintritt.
- Als sicherer Weg dürfte nur die Zustellung über den Gerichtsvollzieher gelten. Diese kostet jedoch Zeit, Geld und überlastet die Gerichtsvollzieher, sodass die ohnehin lange Bearbeitungsdauer durch die Gerichtsvollzieher für andere Dinge wie Zwangsvollstreckungen etc. noch höher werden wird.
Abzuwarten bleibt in diesem Zusammenhang, was sich durch die Einführung des besonderen elektronischen Anwaltspostfaches (BeA) ändert.