Sicherheitszuschlag – 30 Sekunden pro Faxseite
Wir hatten hier und hier bereits über die Anforderungen an die Rechtsanwälte bei der Übertragung von fristgebundenen Schriftsätzen per Fax bereichtet. Viele Haftungsfälle beginnen damit, dass solche Schriftsätze erst wenige Minuten vor Ablauf der betreffenden Frist an das Gericht gefaxt werden sollen, dann aber leider doch mehr Zeit in Anspruch nehmen und erst verspätet eingehen.
In Berufungssachen hat das Berufungsgericht nach § 522 Absatz I 1 ZPO von Amts wegen im Freibeweisverfahren zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Dabei muss die Rechtzeitigkeit des Eingangs der Berufungsbegründung – wie die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Rechtsmittels – zur vollen Überzeugung des Gerichts bewiesen werden. Hiernach etwa verbleibende Zweifel gehen auch bei Einsatz eines Telefaxgeräts zulasten des Rechtsmittelführers, der zu beweisen hat, dass er die Berufung rechtzeitig begründet hat (BGH, Beschl. v. 19.1.2016 – XI ZB 14/15, BeckRS 2016). Wird die Berufungsbegründung per Telefax übersandt, kommt es für die Rechtzeitigkeit ihres Eingangs allein darauf an, ob sie bei Ablauf des letzten Tages der Frist – hier also am 22.3.2017 bis 24:00 Uhr – vom Telefaxgerät des Gerichts vollständig empfangen ist (BGH, Beschl. v. 19.1.2016 – XI ZB 14/15). Um die Frist zu wahren, hätte die Berufungsbegründung vor Beginn des auf den letzten Tag der Frist folgenden Tages um 00:00 Uhr eingehen müssen und damit, weil zwischen 24:00 Uhr und 00:00 Uhr keine, auch keine logische Sekunde existiert, vor Ablauf von 23:59 Uhr (BGH, Beschl. v. 19.1.2016 – XI ZB 14/15).
Nach der Rechtsprechung des BGH trifft den Rechtsanwalt kein Verschulden an dem verspäteten Eingang eines fristgebundenen Schriftsatzes, wenn die Telefaxübermittlung – etwa wegen technischer Störungen am Empfangsgerät oder wegen Leitungsstörungen – einen Zeitraum beansprucht, mit dem er nicht rechnen musste.
Wie viel Zeit für die Faxübertragung mindestens einzuplanen ist, hat der BGH auch mit Beschluss vom 27.09.2018 – IX ZB 67/17 verdeutlicht. In dem zugrundeliegenden Fall wollte der Rechtsanwalt am Tage des Fristablaufs um 23:58 Uhr eine fünfseitige Berufungsbegründung an das Gericht faxen. Dabei endete die Übertragung jedoch erst um 00:34 Uhr und damit war der Schriftsatz nicht rechtzeitig eingegangen.
Im Rahmen des Wiedereinsetzungsverfahrens kam es darauf an, ob der Rechtsanwalt glaubhaft machen konnte, dass bei einer üblichen Übertragungsdauer erfahrungsgemäß von einem Eingang vor Mitternacht auszugehen wäre.
Gerade bei einer Faxübermittlung nur wenige Minuten vor Fristablauf sei aber wegen der schwankenden Übertragungsgeschwindigkeiten eine gewisse Zeitreserve einzuplanen. Hat ein Rechtsanwalt grundsätzlich einen Zeitbedarf von 30 Sekunden je Seite anzusetzen, müsste im vorliegenden Fall mit einer voraussichtlichen Übermittlungsdauer von 2:30 Minuten gerechnet werden, so dass der Eingang auch erst am Folgetag zu erwarten war. Den Volltext des Beschlusses vom 27.09.2018 – IX ZB 67/17 finden Sie hier.
Der BGH stellt im Anschluss an seine bisherige Rechtsprechung klar, dass an den Rechtsanwalt bei der Faxübertragung umso größere Anforderungen zu stellen sind, je näher das Ende einer Frist rückt; bei der Faxübertragung sind Sicherheitszuschläge vorzunehmen.