BGH, Urt. v. 16.07.2020, IX ZR 298/19
Schadensersatzanspruch wegen vertragswidrigen Verhaltens des Rechtsanwalts
Dem Mandanten steht nach einer durch ein vertragswidriges Verhalten des Rechtsanwalts veranlassten Kündigung ein Schadensersatzanspruch nur zu, wenn das vertragswidrige Verhalten des Rechtsanwalts einen wichtigen Kündigungsgrund bildet und die insoweit zu beachtende Kündigungsfrist von zwei Wochen gewahrt ist.
BGH, Urteil vom 16.7.2020 – IX ZR 298/19
Zum Sachverhalt
Die Kl. beauftragte den beklagten Rechtsanwalt, Schadensersatzansprüche wegen fehlerhafter Anlageberatung gegen die P-AG (nachfolgend: P) gerichtlich durchzusetzen. Während des laufenden Rechtsstreits unterbreitete der Bekl. der Kl. am 18.11.2016 den Vorschlag, eine Auftrags- und Vergütungsvereinbarung mit der H-GmbH zu schließen, deren Geschäftsführerin und alleinige Gesellschafterin – was die Kl. nicht wusste – die Ehefrau des Bekl. war. Die H-GmbH sollte den Bekl. durch „Recherchehilfe und banktechnische Kompetenz“ unterstützen. Als Vergütung war eine Beteiligung von 16 % an der für die Kl. erstrittenen Schadensersatzleistung vorgesehen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die P bereits angeboten, den Rechtsstreit durch eine Zahlung von 68.000 Euro und damit etwa 60 % der Klageforderung vergleichsweise beizulegen.
Die Kl. lehnte den Abschluss der ihr angesonnenen Vereinbarung anlässlich einer mit der sachbearbeitenden Rechtsanwältin am 20.1.2017 geführten fernmündlichen Unterredung ab. Durch eine Nachricht vom 22.1.2017 erneuerte der Bekl. gegenüber der Kl. die Bitte um Abschluss der Vereinbarung, wobei er die erfolgsabhängige Vergütung auf 12,5 % ermäßigte. Nachdem die sachbearbeitende Rechtsanwältin das von ihr als „akzeptabel“ bezeichnete Vergleichsangebot der P der Kl. am 23.1.2017 mitgeteilt hatte, forderte der Bekl. am 25.1.2017 die Kl. abermals auf, die Vereinbarung zu unterzeichnen. Dies lehnte die Kl. ab. Mit Schreiben vom 10.2.2017, das dem Bekl. am 13.2.2017 zuging, kündigte die Kl. das Mandat. Nach Beauftragung neuer Prozessbevollmächtigter wurde der von der Kl. gegen die P geführte Rechtsstreit durch einen zugunsten der Kl. auf 63 % der Klageforderung leicht verbesserten Vergleich beendet.
Vorliegend nimmt die Kl. – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – den Bekl. auf Ersatz der ihr durch den Anwaltswechsel entstandenen Mehrkosten in Anspruch.
Das LG Kiel (Urt. v. 2.11.2018 – LGKIEL Aktenzeichen 5O25317 5 O 253/17, BeckRS 2018, BECKRS Jahr 53203) hat den Bekl. zur Zahlung von 5.098 Euro verurteilt. Auf die Berufung des Bekl. hat das OLG Schleswig (Urt. v. 14.11.2019 – OLGSCHLESWIG Aktenzeichen 11U12718 11 U 127/18 BeckRS 2019, BECKRS Jahr 46226) die Klage abgewiesen und auf dessen Widerklage festgestellt, dass die Kl. gem. § ZPO § 717 ZPO § 717 Absatz II ZPO dem Bekl. zum Ersatz des Schadens verpflichtet ist, der ihm durch eine zur Abwendung der Zwangsvollstreckung erbrachte Leistung entstanden ist. Die vom BerGer. zugelassene Revision der Kl. hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen
6I. Das BerGer. hat ausgeführt, der Kl. stehe ein Schadensersatzanspruch aus § BGB § 628 BGB § 628 Absatz II BGB nicht zu.
Es brauche nicht entschieden zu werden, ob die Kündigung der Kl. durch ein vertragswidriges Verhalten des Bekl. veranlasst worden sei, weil die Kündigung nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist des § BGB § 626 BGB § 626 Absatz II BGB erklärt worden sei. Diese Frist sei nach einhelliger Auffassung für einen Schadensersatzanspruch aus § BGB § 628 BGB § 628 Absatz II BGB nach Kündigung gem. § BGB § 627 BGB entsprechend anwendbar. Verstreiche ein Zeitraum von mehr als zwei Wochen nach dem vertragswidrigen Verhalten eines Teils, ohne dass der andere Teil darauf mit einer Kündigung reagiere, gelte die unwiderlegbare Vermutung, dass die Fortsetzung des Vertrags dem anderen Teil nicht unzumutbar sei.
7Die Kl. habe die Kündigung nicht fristgemäß erklärt. Die Frist habe mit dem nach Auffassung der Kl. ungebührlichen und vertragswidrigen Drängen des Bekl. vom 25.1.2017 zu laufen begonnen und am 8.2.2017 geendet. Die Kündigungserklärung der Kl. sei bei dem Bekl. erst am 13.2.2017 eingegangen.
8II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung stand. Ein Schadensersatzanspruch der Kl. aus § BGB § 628 BGB § 628 Absatz II BGB ist gegen den Bekl. nicht begründet, weil die Kl. die Kündigungsfrist des § BGB § 626 BGB § 626 Absatz II 1 BGB versäumt hat.
91. Gemäß § BGB § 627 BGB § 627 Absatz I BGB ist bei einem Dienstverhältnis, das kein Arbeitsverhältnis iSd § BGB § 622 BGB ist, die Kündigung auch ohne die in § BGB § 626 BGB bezeichnete Voraussetzung eines wichtigen Grundes zulässig, wenn der zur Dienstleistung Verpflichtete, ohne in einem dauernden Dienstverhältnis mit festen Bezügen zu stehen, Dienste höherer Art zu leisten hat, die aufgrund besonderen Vertrauens übertragen zu werden pflegen. Diese Voraussetzungen sind bei der Beauftragung eines Rechtsanwalts oder Steuerberaters gegeben (BGH NJW-RR 2019, NJW-RR Jahr 2019 Seite 1459 = WM 2019, WM Jahr 2019 Seite 2178 Rn. WM Jahr 2019 Seite 2178 Randnummer 12). Zur fristlosen Kündigung sind sowohl der Berater als auch der Auftraggeber berechtigt (BGH NJW-RR 2019, NJW-RR Jahr 2019 Seite 1459 = WM 2019, WM Jahr 2019 Seite 2178 Rn. WM Jahr 2019 Seite 2178 Randnummer 13 aE). Mithin hat die Kl. das zwischen den Parteien bestehende Vertragsverhältnis durch ihr Schreiben vom 10.2.2017 wirksam gekündigt. Die Kl. konnte den Auftrag jederzeit und ohne Angabe von Gründen mit sofortiger Wirkung beenden (vgl. BGH NJW 2019, NJW Jahr 2019 Seite 1870 = WM 2019, WM Jahr 2019 Seite 740 Rn. WM Jahr 2019 Seite 740 Randnummer 8).
102. Die vergütungsrechtlichen Folgen der Kündigung eines Dienstvertrags sind in § BGB § 628 BGB § 628 Absatz I BGB geregelt.
11Wird nach dem Beginn der Dienstleistung das Dienstverhältnis aufgrund des § 626 oder des § BGB § 627 BGB gekündigt, so kann der Verpflichtete gem. § BGB § 628 BGB § 628 Absatz I 1 BGB einen seinen bisherigen Leistungen entsprechenden Teil der Vergütung verlangen. Kündigt er, ohne durch vertragswidriges Verhalten des anderen Teils dazu veranlasst zu sein, oder veranlasst er durch sein vertragswidriges Verhalten die Kündigung des anderen Teils, so steht ihm nach § BGB § 628 BGB § 628 Absatz I 2 BGB ein Anspruch auf die Vergütung insoweit nicht zu, als seine bisherigen Leistungen infolge der Kündigung für den anderen Teil kein Interesse haben. Diese Regelungen betreffen den Vergütungsanspruch des Dienstverpflichteten, der nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist.
123. Weitergehend kann ein Vertragsteil gem. § BGB § 628 BGB § 628 Absatz II BGB Ersatz des durch die Aufhebung des Dienstverhältnisses entstehenden Schadens verlangen, wenn die Kündigung durch ein vertragswidriges Verhalten des anderen Teils veranlasst wurde. Diese Regelung ist hier schon deshalb unanwendbar, weil die Kl. die zweiwöchige Kündigungsfrist des § BGB § 626 BGB § 626 Absatz II BGB versäumt hat.
13a) Die Schadensersatzpflicht aus § BGB § 628 BGB § 628 Absatz II BGB kann bei einer Vertragsbeendigung, für die der andere Vertragsteil durch ein vertragswidriges schuldhaftes Verhalten den Anlass gegeben hat, entstehen. Dabei muss das für den Schadensersatz erforderliche Auflösungsverschulden des Vertragspartners – anders als das in § BGB § 628 Nr. BGB § 628 Nummer 1 S. 2 BGB vorausgesetzte vertragswidrige Verhalten (vgl. BGH NJW 2011, NJW Jahr 2011 Seite 1674 Rn. NJW Jahr 2011 Seite 1674 Randnummer 14; NJW 2019, NJW Jahr 2019 Seite 1870 = WM 2019, WM Jahr 2019 Seite 740 Rn. WM Jahr 2019 Seite 740 Randnummer 22) – das Gewicht eines wichtigen Grundes iSd § BGB § 626 BGB haben. Nur derjenige kann Schadensersatz nach § BGB § 628 BGB § 628 Absatz II BGB fordern, der auch wirksam aus wichtigem Grund hätte fristlos kündigen können, denn aus dem Zusammenhang der Absätze 1 und 2 ergibt sich die gesetzliche Wertung, dass nicht jede geringfügige schuldhafte Vertragsverletzung, die Anlass für eine Beendigung des Vertragsverhältnisses gewesen ist, die schwerwiegenden Folgen des § BGB § 628 BGB § 628 Absatz II BGB nach sich zieht (BAGE 98, BAGE Band 98 Seite 275 [BAGE Band 98 280 f.] = NJW 2002, NJW Jahr 2002 Seite 1593; EzA BGB 2002 § 628 Nr. EZA BGB2002 § 3 = BeckRS 2004, BECKRS Jahr 40745 [unter II 2 a]; BAGE 140, BAGE Band 140 Seite 159 = NJW 2012, NJW Jahr 2012 Seite 1900 Rn. NJW Jahr 2012 Seite 1900 Randnummer 31; KG Urt. v. 18.8.2005 – KG Aktenzeichen 8U25104 8 U 251/04, BeckRS 2005, BECKRS Jahr 10894; MüKoBGB/Henssler, 8. Aufl., § 628 Rn. MUEKOBGB 8 BGB § 628 Randnummer 74; Staudinger/Preis, BGB, Neubearb. 2019, § 628 Rn. 38; Soergel/Kraft, BGB, 12. Aufl., § 628 Rn. 11; Erman/Belling/Riesenhuber, BGB, 15. Aufl., § 628 Rn. 31; Fuchs/Plum in Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BGB, 4. Aufl., § 628 Rn. 12; Palandt/Weidenkaff, BGB, 79. Aufl., § 628 Rn. 6; Lingemann in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 14. Aufl., § 628 Rn. 6; NK-BGB/Klappstein, BGB, 3. Aufl., § 628 Rn. 18; RGRK-BGB/Corts, 12. Aufl., § 628 Rn. 31). Diese einhelligen Erwägungen gelten auch im Rahmen der anwaltlichen Berufshaftung. Ein Schadensersatzanspruch aus § BGB § 628 BGB § 628 Absatz II BGB setzt mithin ein anwaltliches Fehlverhalten von der Schwere eines wichtigen Grundes nach § BGB § 626 BGB voraus (KG NJW-RR 2002, NJW-RR Jahr 2002 Seite 708 [NJW-RR Jahr 2002 710] = NJW 2002, NJW Jahr 2002 Seite 2961 Ls.; Mennemeyer in Fahrendorf/Mennemeyer, Die Haftung des Rechtsanwalts, 9. Aufl., Kap. 1 Rn. 233; Jungk in Borgmann/Jungk/Schwaiger, Anwaltshaftung, 6. Aufl., Kap. III Rn. 106).
14 b) Ob der Schweregrad eines wichtigen Grundes erreicht ist, kann im Streitfall dahinstehen. Erfordert der Schadensersatzanspruch aus § BGB § 628 BGB § 628 Absatz II BGB einen wichtigen Beendigungsgrund, muss für die Kündigung auch die Zwei-Wochen-Frist des § BGB § 626 BGB § 626 Absatz II BGB gewahrt werden. Daran fehlt es.
15 aa) Der Schadensersatzanspruch aus § BGB § 628 BGB § 628 Absatz II BGB setzt voraus, dass eine wirksame außerordentliche Kündigung wegen vertragswidrigen Verhaltens der anderen Vertragspartei ausgesprochen wurde oder hätte ausgesprochen werden können. Wird die gesetzliche Ausschlussfrist nach § BGB § 626 BGB § 626 Absatz II BGB versäumt, endet damit auch das Recht zur außerordentlichen Kündigung. Ein erheblicher wichtiger Grund ist – sollte er vorgelegen haben – nicht mehr geeignet, die Fortsetzung des Dienstverhältnisses unzumutbar zu machen. Wenn ein pflichtwidriges Verhalten einer Vertragspartei nicht mehr zum Anlass einer vorzeitigen Beendigung des Rechtsverhältnisses genommen werden kann, entfällt damit auch der Schadensersatzanspruch nach § BGB § 628 BGB § 628 Absatz II BGB wegen dieses Verhaltens. Andernfalls bestünde ein nicht auflösbarer Widerspruch zwischen der Bestimmung über die außerordentliche Kündigung nach § BGB § 626 BGB und der Vorschrift über den Schadensersatz nach § BGB § 628 BGB. Die Vorschrift des § BGB § 628 BGB § 628 Absatz II BGB ist kein Auffangtatbestand für wegen Versäumung der Ausschlussfrist misslungene außerordentliche Kündigungen. Mit der Einführung der Ausschlussfrist nach § BGB § 626 BGB § 626 Absatz II BGB sind die Anforderungen an eine außerordentliche Kündigung verschärft worden. Das hat auch zu einer Einschränkung des auf § BGB § 626 BGB aufbauenden Schadensersatzanspruchs nach § BGB § 628 BGB § 628 Absatz II BGB geführt. Wahrt der Anspruchsberechtigte die Zwei-Wochen-Frist des § BGB § 626 BGB § 626 Absatz II BGB nicht, so verliert er seinen Anspruch auf Schadensersatz (BAG NZA 1990, NZA Jahr 1990 Seite 106 = DB 1990, DB Jahr 1990 Seite 433; BAGE 98, BAGE Band 98 Seite 275 [BAGE Band 98 285] = NJW 2002, NJW Jahr 2002 Seite 1593; MüKoBGB/Henssler, § 628 Rn. MUEKOBGB BGB § 628 Randnummer 78; Staudinger/Preis, § 628 Rn. 37; Soergel/Kraft, § 628 Rn. 13; Erman/Belling/Riesenhuber, § 628 Rn. 31; Fuchs/Plum in Bamberger/Roth/Hau/Poseck, § 628 Rn. BECKOKBGB BGB § 628 Randnummer 11; Palandt/Weidenkaff, § 628 Rn. 6; NK-BGB/Klappstein, § 628 Rn. KROANNMAYKOBGB BGB § 628 Randnummer 18; Lingemann in Prütting/Wegen/Weinreich, § 628 Rn. 6). Entsprechend dieser allgemeinen Auffassung muss auch die Beendigung des Anwaltsdienstvertrags innerhalb der Frist des § BGB § 626 BGB § 626 Absatz II BGB erfolgen (KG Urt. v. 18.8.2005 – KG Aktenzeichen 8U25104 8 U 251/04, BeckRS 2005, BECKRS Jahr 10894 Rn. BECKRS Jahr 2005 Randnummer 133; OLG Frankfurt a. M. NJW 2016, NJW Jahr 2016 Seite 1599 Rn. NJW Jahr 2016 Seite 1599 Randnummer 16; Mennemeyer in Fahrendorf/Mennemeyer, Kap. 1 Rn. 233).
16bb) Im Streitfall wurde die zweiwöchige Frist des § BGB § 626 BGB § 626 Absatz II BGB nicht gewahrt. Maßgeblich für die Einhaltung der sich nach §§ BGB § 187, BGB § 188 BGB berechnenden Frist von zwei Wochen ist der Zugang der Kündigungserklärung bei dem Empfänger (BAGE 30, BAGE Band 30 Seite 161 = NJW 1978, NJW Jahr 1978 Seite 2168; MüKoBGB/Henssler, § 626 Rn. MUEKOBGB BGB § 626 Randnummer 321; Fuchs/Plum in Bamberger/Roth/Hau/Poseck, § 626 Rn. BECKOKBGB BGB § 626 Randnummer 60). Die Kündigung der Kl. beruhte auf dem Vorfall vom 25.1.2017, so dass die Kündigungsfrist am 8.2.2017 endete. Das Kündigungsschreiben der Kl. vom 10.2.2017, das den Bekl. zudem erst am 13.2.2017 erreichte, war mithin verspätet.
174. Da sich die Klage sonach als unbegründet erweist, war dem auf § ZPO § 717 ZPO § 717 Absatz II ZPO gestützten, im Wege der Widerklage verfolgten Feststellungsantrag, stattzugeben. Der Bekl. hat im Streitfall zur Abwendung der Zwangsvollstreckung eine Sicherheitsleistung hinterlegt. Angesichts des gegenwärtig nicht abschließend beurteilbaren Schadensverlaufs ist ein Feststellungsantrag eröffnet (vgl. Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 717 Rn. 44).