BGH, Urteil v. 13.12.2018, IX ZR 216/17
Zum Sachverhalt
Der Kl. begehrt die Rückzahlung von Anwaltshonorar. Er beauftragte im Oktober 2012 den Rechtsvorgänger der Bekl. (fortan: der Bekl.) mit der Wahrnehmung seiner Interessen. Dieser wurde sodann für den Kl. in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren und in einem gegen den Kl. geführten Ermittlungsverfahren tätig. Im anschließenden Strafverfahren wurde der Bekl. am 27.6.2013 als Pflichtverteidiger bestellt. Am 4.7.2013 schlossen die Parteien eine Honorarvereinbarung, in der vereinbart wurde, dass der Kl. dem Bekl. bezogen „auf die Tätigkeit des Verteidigers im gesamten Ermittlungsverfahren sowie der kompletten ersten Instanz“ ein Gesamthonorar von 12.500 Euro zahle. In Nr. II dieser Vereinbarung war der Hinweis enthalten, dass die Staatskasse im Falle der Kostenerstattung regelmäßig nicht mehr als die gesetzliche Vergütung erstatten müsse und dass die Honorarvereinbarung deutlich höher sei. Einen Hinweis darauf, dass der Bekl. als bestellter Pflichtverteidiger den Kl. auch ohne den Abschluss der Honorarvereinbarung weiter zu verteidigen habe, enthielt die Vereinbarung nicht; dies war dem Kl. auch nicht bekannt. Gestützt hierauf begehrt der Kl. die Rückzahlung der vom Bekl. in Rechnung gestellten und an diesen gezahlten Honorare, soweit sie die nach dem Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (RVG) geschuldeten Gebühren übersteigen.
Das LG Essen (Urt. v. 14.10.2015 – LGESSEN Aktenzeichen 18O27814 18 O 278/14, BeckRS 2015, BECKRS Jahr 126637) hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Auf die Berufung des Bekl. hat das OLG Hamm (Urt. v. 15.8.2017 – OLGHAMM Aktenzeichen I28U18615 I-28 U 186/15, BeckRS 2017, BECKRS Jahr 154138) das landgerichtliche Urteil insoweit aufrechterhalten, als der Bekl. betreffend seine Tätigkeit im Ermittlungsverfahren und im arbeitsgerichtlichen Verfahren zur Rückzahlung verurteilt worden war. Hinsichtlich der am 4.7.2013 für die Verteidigung im Strafverfahren vereinbarten Vergütung hat es die Klage abgewiesen. Mit seiner vom BerGer. zugelassenen Revision erstrebte der Kl. die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die zulässige Revision hatte Erfolg. Sie führte zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das BerGer., soweit das BerGer. zum Nachteil des Kl. entschieden hat.
Aus den Gründen
4I. Das BerGer. hat zur Begründung der Klageabweisung ausgeführt: Die Honorarvereinbarung vom 4.7.2013 genüge den formalen Anforderungen des § RVG § 3 a RVG § 3A Absatz I RVG. Für den Abschluss einer formal fehlerfreien Vergütungsvereinbarung sei es nicht erforderlich, dass der Anwalt den Mandanten darauf hinweise, dass er als Pflichtverteidiger von der Staatskasse bezahlt werde und zur Führung der Verteidigung kraft Gesetzes auch ohne (Mehr-)Vergütung durch den Mandanten verpflichtet sei. Soweit der BGH eine Kenntnis des Mandanten hiervon gefordert habe, weil Voraussetzung einer wirksamen Honorarvereinbarung sei, dass der Mandant diese freiwillig abgeschlossen habe, könne dem nach Einführung des RVG nicht mehr uneingeschränkt gefolgt werden. Auch freiwillig und vorbehaltlos an den Anwalt geleistete Zahlungen könnten in den Grenzen des § BGB § 814 BGB zurückgefordert werden. Ein Verstoß gegen §§ RVG § 3 a, RVG § 4 a RVG führe überdies nicht mehr zur Unwirksamkeit der Vergütungsvereinbarung, sondern zur Beschränkung des Honorars auf die gesetzlich geschuldete Vergütung. Unwirksamkeit oder Nichtigkeit könne regelmäßig nur bei wirksamer Anfechtung nach §§ BGB § 119 ff. BGB oder bei Sittenwidrigkeit der Vereinbarung gem. § BGB § 138 BGB angenommen werden. Beides sei hier nicht der Fall.
5II. Diese Ausführungen halten in einem entscheidenden Punkt revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der klägerische Anspruch kann sich nach dem zur Entscheidung gestellten Sachverhalt auch aus §§ BGB § 311 BGB § 311 Absatz II, BGB § 280 BGB § 280 Absatz I BGB (culpa in contrahendo) ergeben. Dies lässt das BerGer. außer Betracht.
61. Zunächst zutreffend geht das BerGer. davon aus, dass der gerichtlich zum Verteidiger bestellte Rechtsanwalt nicht gehindert ist, eine Honorarvereinbarung zu treffen (vgl. BGH, MDR 1979, MDR Jahr 1979 Seite 1004 = NJW 1980, NJW Jahr 1980 Seite 1394 Ls. = BeckRS 1979, BECKRS Jahr 31116114). § RVG § 3 a RVG § 3A Absatz III RVG, demzufolge Vereinbarungen mit im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwälten nichtig sind, steht schon nach seinem Wortlaut nicht entgegen. Im Unterschied zur Prozesskostenhilfe ist die Beiordnung eines Pflichtverteidigers nicht von den finanziellen Verhältnissen des Beschuldigten abhängig (vgl. § STPO § 140 StPO). Sie soll zwar auch dem mittellosen Beschuldigten die Verteidigung durch einen Strafverteidiger ermöglichen, der eigentliche Sinn und Zweck des Instituts der Pflichtverteidigung beruht jedoch auf dem Interesse eines Rechtsstaats an einem ordnungsmäßigen Verfahren und der dazugehörenden wirksamen Verteidigung (BGH, MDR 1979, MDR Jahr 1979 Seite 1004 = NJW 1980, NJW Jahr 1980 Seite 1394 Ls. = BeckRS 1979, BECKRS Jahr 31116114; AnwKomm-RVG/Onderka/Schneider, 8. Aufl., § 3 a Rn. 26; BeckOK RVG/v. Seltmann, 2017, § 3 a Rn. BECKOKRVG 2017 RVG § 3A Randnummer 27; Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 5. Aufl., Teil A Rn. 2327; Mertens/Stuff/Mück, Verteidigervergütung, 2. Aufl., 50). Von einem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt unterscheidet sich der Pflichtverteidiger auch insofern, als er unter den Voraussetzungen des § RVG § 52 RVG § 52 Absatz II 1 RVG die Gebühren eines Wahlverteidigers verlangen kann. Die Durchsetzung des mit dem Pflichtverteidiger vereinbarten vertraglichen Honorars ist allerdings nicht von der vorherigen Feststellung der Leistungsfähigkeit des Beschuldigten abhängig (vgl. BGH, NJW 1983, NJW Jahr 1983 Seite 1047 [NJW Jahr 1983 1048]).
72. Auch mit den weiteren gegen die Wirksamkeit der Honorarvereinbarung vom 4.7.2013 erhobenen Einwendungen kann die Revision nicht durchdringen. Zwar können Willenserklärungen oder Rechtsgeschäfte unter bestimmten Voraussetzungen nichtig sein (vgl. §§ BGB § 105 BGB § 105 Absatz I, BGB § 117 BGB § 117 Absatz I, BGB § 125, BGB § 134, BGB § 138, BGB § 142 BGB § 142 Absatz I BGB). Für eine Honorarvereinbarung mit einem Pflichtverteidiger gilt nichts anderes. Dies hat das BerGer. zutreffend gesehen. Seine Würdigung, die Voraussetzungen des § BGB § 138 BGB lägen nicht vor, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Dass die Honorarvereinbarung nicht wirksam angefochten war, stellt die Revision nicht in Zweifel.
8a) Der Wirksamkeit der Honorarvereinbarung vom 4.7.2013 steht nicht entgegen, dass sie keinen Hinweis darauf enthält, dass der zum Pflichtverteidiger bestellte Anwalt den Mandanten auch ohne den Abschluss der Honorarvereinbarung weiter zu verteidigen hat. Mit der Einführung von § RVG § 3 a RVG § 3A Absatz I RVG zum 1.7.2008 hat der Gesetzgeber zur Vereinheitlichung der bis dahin geltenden unterschiedlichen Formvorschriften die formellen Anforderungen an eine mit einem Rechtsanwalt geschlossene Vergütungsvereinbarung umfassend geregelt. Die Regelung in § RVG § 3 a RVG § 3A Absatz I 3 RVG begründet zum Schutz der Rechtsuchenden eine Hinweispflicht darauf, dass sie eine höhere als die gesetzliche Vergütung grundsätzlich selbst zu tragen haben (BT-Drs. 16/8384, 9 f.). Eine weitergehende Hinweispflicht wurde nicht begründet, wobei – wie der Hinweis auf eine Kostenerstattung durch die Staatskasse zeigt – auch der Fall einer Vereinbarung mit dem Pflichtverteidiger in den Blick genommen wurde.
9b) Eine Unwirksamkeit der Honorarvereinbarung kann auch nicht allein darauf gestützt werden, der Kl. sei nicht darüber informiert gewesen und habe nicht gewusst, dass der zum Pflichtverteidiger bestellte Bekl. auch ohne den Abschluss der Honorarvereinbarung zu weiterer Verteidigung verpflichtet war. Weder ist eine dahingehende Aufklärung des Beschuldigten Wirksamkeitsvoraussetzung einer Honorarvereinbarung noch kann allein die unterlassene Aufklärung eine Sittenwidrigkeit iSv § BGB § 138 BGB § 138 Absatz I BGB begründen.
10aa) Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 3.5.1979 (MDR 1979, MDR Jahr 1979 Seite 1004 = NJW 1980, NJW Jahr 1980 Seite 1394 Ls. = BeckRS 1979, BECKRS Jahr 31116114) ausgeführt, Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Vergütungsvereinbarung zwischen einem Pflichtverteidiger und dem Beschuldigten sei eine Freiwilligkeit des Vertragsschlusses, welche unter anderem eine Kenntnis des Mandanten davon voraussetze, dass der Pflichtverteidiger seine Vergütung von der Staatskasse erhalte und zur Führung der Verteidigung kraft Gesetzes auch ohne Vergütung des Beschuldigten verpflichtet sei. Soweit hierin ein eigenständiges Wirksamkeitserfordernis gesehen wurde (vgl. OLG Karlsruhe, StRR 2016, Nr. STRR Jahr 2016 Seite 8, STRR Jahr 2016 21; AnwKomm-RVG/Onderka/Schneider, § 3 a Rn. 27; BeckOK RVG/v. Seltmann, § 3 a Rn. BECKOKRVG RVG § 3A Randnummer 29; Krämer/Mauer/Kilian, Vergütungsvereinbarung und -management, 2005, Rn. 524), hält der nunmehr für Rechtsstreitigkeiten über Auftragsverhältnisse betreffend Ansprüche von Rechtsanwälten und gegen diese zuständige IX. Zivilsenat hieran nicht fest. Das Bedürfnis für ein solches Wirksamkeitserfordernis ist durch die Neuregelung der §§ RVG § 3 ff. RVG mit dem Gesetz zur Neuregelung des Verbots der Vereinbarung von Erfolgshonoraren vom 12.6.2008 (BGBl. 2008 I BGBL Jahr 2008 I Seite 1000) entfallen.
11bb) Ob ein Verstoß gegen die guten Sitten vorliegt, ist eine Rechtsfrage, die der Nachprüfung im Wege der Revision unterliegt (BGH, NJW 1991, NJW Jahr 1991 Seite 353 [NJW Jahr 1991 354] mwN). Nach § BGB § 138 BGB § 138 Absatz I BGB ist ein Rechtsgeschäft nichtig, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist, wobei nicht nur der objektive Inhalt des Geschäfts, sondern auch die Umstände, die zu seiner Vornahme geführt haben, und die von den Parteien verfolgten Absichten und Beweggründe zu berücksichtigen sind (BGH, NJW-RR 1998, NJW-RR Jahr 1998 Seite 590 [NJW-RR Jahr 1998 591] mwN). Das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit und eine Schädigungsabsicht sind nicht erforderlich; es genügt, wenn der Handelnde die Tatsachen kennt, aus denen sich die Sittenwidrigkeit ergibt, wobei dem gleichsteht, wenn sich jemand bewusst oder grob fahrlässig der Kenntnis erheblicher Tatsachen verschließt (BGH, NJW-RR 1998, NJW-RR Jahr 1998 Seite 590 [NJW-RR Jahr 1998 591] mwN). Bei der Überprüfung eines Vertrags anhand von § BGB § 138 BGB § 138 Absatz I BGB ist davon auszugehen, dass die tatsächlichen Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit von der Partei darzutun und zu beweisen sind, die sich auf sie beruft (BGH, NJW 1995, NJW Jahr 1995 Seite 1425 [NJW Jahr 1995 1429]; Palandt/Ellenberger, BGB, 77. Aufl., § 138 Rn. 23; BeckOK BGB/Wendtland, 2018, § 138 Rn. BECKOKBGB 2018 BGB § 138 Randnummer 39).
12Ausgehend hiervon und auf der Grundlage der vom BerGer. getroffenen Feststellungen ist dessen Wertung, die Voraussetzungen des § BGB § 138 BGB § 138 Absatz I BGB lägen nicht vor, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Ob die fehlende Kenntnis des Kl. davon, dass der zum Pflichtverteidiger bestellte Bekl. auch ohne den Abschluss der Honorarvereinbarung zu weiterer Verteidigung verpflichtet war, eine Zwangslage begründet und ob weitere besondere Umstände hinzutreten, die das Geschäft nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Zweck und Beweggrund zu entnehmenden Gesamtcharakter als verwerflich erscheinen lassen (vgl. BGH, NJW 1988, NJW Jahr 1988 Seite 2599), ist eine Frage des Einzelfalls. Dass dem BerGer. insoweit Rechtsfehler unterlaufen sind, zeigt die Revision nicht auf.
133. Jedoch hat das BerGer. nicht bedacht, dass der geltend gemachte Zahlungsanspruch nach dem zur Entscheidung gestellten Sachverhalt unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung (§ BGB § 280 BGB § 280 Absatz I BGB, „culpa in contrahendo“) begründet sein kann.
14a) Dahinstehen kann, ob Grundlage für eine Haftung des Anwalts nach § BGB § 280 BGB § 280 Absatz I BGB bereits die im öffentlichen Interesse liegende Beiordnung des Pflichtverteidigers ist (vgl. Rinkler in G. Fischer/Vill/D. Fischer/Rinkler/Chab, HdB der Anwaltshaftung, 4. Aufl., § 1 Rn. 200 mwN). Denn die Aufnahme von Verhandlungen über den Abschluss einer Vergütungsvereinbarung begründet ein Schuldverhältnis (§ BGB § 311 BGB § 311 Absatz II BGB), die Verletzung der hierbei begründeten Pflichten kann zu einem Schadensersatzanspruch nach § BGB § 280 BGB § 280 Absatz I BGB führen.
15b) Dem Kl. kann ein Schadenersatz nach § BGB § 280 BGB § 280 Absatz I BGB zustehen, weil der Bekl. auf der Grundlage des vom BerGer. festgestellten Sachverhalts pflichtwidrig handelte. Ein zum Pflichtverteidiger bestellter Anwalt muss vor Abschluss einer Vergütungsvereinbarung einen eindeutigen Hinweis darauf erteilen, dass der Pflichtverteidiger auch ohne den Abschluss der Honorarvereinbarung zu weiterer Verteidigung verpflichtet ist (§§ BRAO § 48, BRAO § 49 BRAO). Unterlässt er einen solchen Hinweis, handelt er pflichtwidrig. Dies folgt aus der Stellung des Pflichtverteidigers, der (zumindest auch) die Interessen des Beschuldigten wahrzunehmen hat, und aus der erkennbaren Interessenlage des Beschuldigten.
16aa) Nach § STPO § 140 STPO § 140 Absatz II StPO ist ein Verteidiger zu bestellen, wenn dessen Mitwirkung wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann. Mit dem Institut der notwendigen Verteidigung, das der einfachrechtlichen Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips in seiner Ausgestaltung als Gebot fairer Verfahrensführung dient, und mit der Bestellung eines Verteidigers sichert der Gesetzgeber das Interesse, das der Rechtsstaat an einem prozessordnungsgemäßen Strafverfahren und zu diesem Zweck nicht zuletzt an einer wirksamen Verteidigung des Beschuldigten hat (BGHSt 3, BGHST Jahr 3 Seite 395 [BGHST Jahr 3 398] = NJW 1953, NJW Jahr 1953 Seite 514; BVerfGE 46, BVERFGE Jahr 46 Seite 202 [BVERFGE Jahr 46 210]; BVerfGE 63, BVERFGE Jahr 63 Seite 380 [BVERFGE Jahr 63 391]; BVerfGE 70, BVERFGE Jahr 70 Seite 297 [BVERFGE Jahr 70 323] = NJW 1986, NJW Jahr 1986 Seite 767; BVerfG, NJW 1984, NJW Jahr 1984 Seite 113; Laufhütte/Willnow in KK-StPO, 7. Aufl., § 140 Rn. KARLSKOSTPO 7 STPO § 140 Randnummer 1 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 140 Rn. 1). Das Recht auf ein faires Verfahren zählt zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens, insbesondere des Strafverfahrens mit seinen möglichen einschneidenden Auswirkungen für den Beschuldigten (BVerfG, NJW 2001, NJW Jahr 2001 Seite 3695 [NJW Jahr 2001 3696] mwN). Der Beschuldigte darf im Rechtsstaat des Grundgesetzes nicht nur Objekt des Verfahrens sein. Ihm muss vielmehr die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Strafverfahrens Einfluss zu nehmen; hierzu ist er unter bestimmten Voraussetzungen auf rechtskundige Hilfe eines ihm verpflichteten Beistandes angewiesen (BVerfG, NJW 1998, NJW Jahr 1998 Seite 2205 = NStZ 1998, NSTZ Jahr 1998 Seite 363 [NSTZ Jahr 1998 364] mwN).
17Wahl- und Pflichtverteidiger haben – jedenfalls wenn die Bestellung auf Wunsch oder mit Einverständnis des Beschuldigten erfolgt – die gleiche Aufgabe und Funktion, ihre Rechtsstellung soll gleich sein (vgl. Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn, StPO, 26. Aufl., vor § 137 Rn. 68 ff., § 140 Rn. 16; SK-StPO/Wohlers, 5. Aufl., vor § 137 Rn. 39 mwN). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll ein Beschuldigter, dem ein Pflichtverteidiger bestellt wurde, grundsätzlich gleichen Rechtsschutz erhalten wie ein Beschuldigter, der sich auf eigene Kosten einen Verteidiger gewählt hat; dies gebietet bereits das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot (Art. GG Artikel 3 GG Artikel 3 Absatz I GG), folgt aber auch aus Art. EMRK Artikel 6 EMRK Artikel 6 Absatz III Buchst. c MRK (NJW 1959, NJW Jahr 1959 Seite 571; NJW 2001, NJW Jahr 2001 Seite 3695 [NJW Jahr 2001 3696]; vgl. auch BGHSt 92, BGHST Jahr 92 Seite 94 [BGHST Jahr 92 96] = NJW 1996, NJW Jahr 1996 Seite 1975). Dementsprechend sieht § STPO § 142 STPO § 142 Absatz I StPO vor, dass dem Beschuldigten der Anwalt seines Vertrauens als Pflichtverteidiger beizuordnen ist, wenn dem nicht wichtige Gründe entgegenstehen.
18bb) Anerkannt ist, dass einen Rechtsanwalt, der ein Wahlmandat begründen will, vorvertragliche Sorgfaltspflichten gegenüber einem Vertragsinteressenten treffen (vgl. BGH, NJW 1998, NJW Jahr 1998 Seite 136 [NJW Jahr 1998 137]). Gegenüber anspruchsberechtigten Mandanten kann er gehalten sein, auf die Möglichkeit hinzuweisen, Prozesskostenhilfe zu erlangen; handelt er für eine Sozietät, muss er darauf hinweisen, dass der Mandant trotz der Bewilligung von Prozesskostenhilfe weitergehenden Gebührenansprüchen der Sozietät ausgesetzt sein kann (BGH, NJW 2011, NJW Jahr 2011 Seite 229 Rn. NJW Jahr 2011 Seite 229 Randnummer 9). Der Anwalt muss ferner den Vertragsinteressenten dann aufklären, wenn die von diesem erstrebte Rechtsverfolgung erkennbar wirtschaftlich unvernünftig ist, weil das zu erreichende Ziel in keinem angemessenen Verhältnis zu den anfallenden Kosten steht (BGH, NJW 1998, NJW Jahr 1998 Seite 136 [NJW Jahr 1998 137]). Ein Rechtsanwalt kann verpflichtet sein, auf Verlangen der Partei die voraussichtliche Höhe seiner gesetzlichen Vergütung mitzuteilen (BGHZ 77, BGHZ Band 77 Seite 27 [BGHZ Band 77 29] = NJW 1980, NJW Jahr 1980 Seite 2128 mwN). Hierzu kann nach den Umständen des Falls auch die Pflicht zur Aufklärung des Mandanten über die mit dem Mandat verbundenen Gebühren rechnen, wenn andere als üblicherweise zu erwartende Gebühren anfallen und der Anwalt nicht voraussetzen kann, dass der Vertragsinteressent die Gebührenlage wenigstens in Grundzügen richtig zu beurteilen vermag. Aus besonderen Umständen des Einzelfalls kann sich nach Treu und Glauben (§ BGB § 242 BGB) eine Pflicht des Rechtsanwalts ergeben, auch ohne Frage des Auftraggebers diesen über die gebührenrechtliche Lage zu belehren (vgl. BGH, NJW 1998, NJW Jahr 1998 Seite 3486 [NJW Jahr 1998 3487] = NJW-RR 1999, NJW-RR Jahr 1999 Seite 934 Ls.). Der Anwalt muss vor Vertragsschluss auch offenbaren, dass er mit Rücksicht auf andere Mandate seiner Sozietät von vornherein nicht bereit ist, den Vertragsinteressenten erforderlichenfalls auch vor Gericht zu vertreten (BGHZ 174, BGHZ Band 174 Seite 186 = NJW 2008, NJW Jahr 2008 Seite 1307 Rn. NJW Jahr 2008 Seite 1307 Randnummer 11 ff.).
19Entscheidend für das Maß der Unterrichtung ist stets die für den Anwalt erkennbare Erkenntnis und Interessenlage des Auftraggebers. Der rechtssuchende Vertragsinteressent muss nach Lage des Falls ausreichend informiert sein, um über sein weiteres Vorgehen sachgerecht entscheiden zu können (vgl. BGH, NJW 1980, NJW Jahr 1980 Seite 2128). Dieser Gesichtspunkt kommt auch bei einem schon begründeten Anwaltsmandat zum Tragen. Soweit der Mandant nicht eindeutig zu erkennen gibt, dass er des Rates nur in einer bestimmten Richtung bedarf, ist der Rechtsanwalt grundsätzlich zur allgemeinen, umfassenden und möglichst erschöpfenden Belehrung des Auftraggebers verpflichtet, damit der Mandant zu einer sachgerechten Entscheidung in der Lage ist (BGHZ 171, BGHZ Band 171 Seite 261 = NJW 2007, NJW Jahr 2007 Seite 2485 Rn. NJW Jahr 2007 Seite 2485 Randnummer 9 f. mwN).
20Diese Pflichten treffen grundsätzlich in gleicher Weise den Pflichtverteidiger. Um sachgerecht darüber entscheiden zu können, ob der Beschuldigte eine Honorarvereinbarung mit dem für ihn bereits auf Antrag oder von Amts wegen bestellten Pflichtverteidiger abschließt, muss er die maßgeblichen Umstände kennen. Hierzu rechnet nicht nur die Aufklärung darüber, dass die Zahlungspflicht die gesetzlichen Gebühren übersteigt und dass die Staatskasse im Falle der Kostenerstattung regelmäßig nicht mehr als die gesetzliche Vergütung erstatten muss. Sachgerecht kann der Beschuldigte nur entscheiden, wenn er weiß, dass der Pflichtverteidiger auch ohne den Abschluss der Honorarvereinbarung zur Verteidigung verpflichtet ist.
21cc) Dies gebietet auch die Interessenlage. Einerseits sieht sich der Beschuldigte einem Strafverfahren gegenüber, in dem wegen der Schwere der Tat, wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage oder weil die Voraussetzungen des § STPO § 140 STPO § 140 Absatz I StPO vorliegen, die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig ist. Er sieht sich – zumal wenn er angeklagt oder inhaftiert ist – einem nicht unerheblichen Druck ausgesetzt. Sein Interesse ist erkennbar auf eine in seinem Sinne bestmögliche Verteidigung gerichtet. Er darf darauf vertrauen, dass der von ihm gewünschte und ihm beigeordnete Anwalt seine Interessen wahrt und seine Rechte wie ein Wahlverteidiger wahrnimmt.
22Der ihm zum Verteidiger bestellte Anwalt ist andererseits zur Verteidigung verpflichtet, sofern dem nicht wichtige Gründe entgegenstehen (§§ BRAO § 48, BRAO § 49 BRAO). Der Pflichtverteidiger kann anders als ein Wahlverteidiger (vgl. BGH, NJW 2002, NJW Jahr 2002 Seite 2774 [NJW Jahr 2002 2775]; BGHZ 184, BGHZ Band 184 Seite 209 = NJW 2010, NJW Jahr 2010 Seite 1364 Rn. NJW Jahr 2010 Seite 1364 Randnummer 34; NJW 2013, NJW Jahr 2013 Seite 1591 Rn. NJW Jahr 2013 Seite 1591 Randnummer 9) sein weiteres Tätigwerden in keinem Fall vom Zustandekommen einer Vergütungsvereinbarung abhängig machen. Da er kraft seiner Bestellung zur Übernahme der Verteidigung verpflichtet ist, darf der Pflichtverteidiger die Übernahme der Tätigkeit weder ausdrücklich noch mehr oder weniger verschleiert von dem Versprechen einer die gesetzlichen Gebühren übersteigenden Vergütung abhängig machen. Nur völlig freiwillige Angebote sind dem Pflichtverteidiger erlaubt (vgl. Dahs, HdB des Strafverteidigers, 8. Aufl., Rn. 1199). So kann es einen wichtigen Grund für die Rücknahme der Pflichtverteidigerbestellung darstellen, wenn der bestellte Anwalt auf den Abschluss einer die gesetzlichen Gebühren deutlich übersteigenden Honorarvereinbarung drängt und dabei zum Ausdruck bringt, ohne den Abschluss der Vereinbarung sei seine Motivation, für den Beschuldigten tätig zu werden, gemindert (vgl. KG, StV 2013, STV Jahr 2013 Seite 142 = NStZ-RR 2012, NSTZ-RR Jahr 2012 Seite 287 Ls. = BeckRS 2012, BECKRS Jahr 11919).
23Während bei der Beauftragung eines Rechtsanwalts ein Mandant regelmäßig damit rechnen muss, dass er die gesetzliche anwaltliche Vergütung zu zahlen hat (vgl. BGH, NJW-RR 1999, NJW-RR Jahr 1999 Seite 934 Ls. = BeckRS 1998, BECKRS Jahr 30018038), kann bei einem Beschuldigten, dem ein Pflichtverteidiger bestellt wird, regelmäßig keine Kenntnis von der gebührenrechtlichen Lage angenommen werden. Noch weniger kann eine Kenntnis des Beschuldigten davon erwartet werden, dass der Pflichtverteidiger, auch wenn er auf den Abschluss einer Honorarvereinbarung anträgt, zu weiterer Verteidigung auch ohne den Abschluss der Vereinbarung verpflichtet ist. Hierauf muss ein sorgfältig und gewissenhaft arbeitender Pflichtverteidiger in dieser Situation eindeutig hinweisen.
24c) Dieser Pflicht ist der Bekl. nach den unangefochtenen Urteilsfeststellungen nicht nachgekommen. Er hat den Kl. nicht darüber aufgeklärt, dass er zu weiterer Verteidigung auch ohne den Abschluss der verfahrensgegenständlichen Honorarvereinbarung verpflichtet gewesen wäre.
25III. Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben. Die Sache ist zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das BerGer. zurückzuverweisen (§ ZPO § 563 ZPO § 563 Absatz I ZPO).
26Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
27Es obliegt dem Kl. darzutun und gegebenenfalls zu beweisen, wie er sich bei vollständiger Aufklärung verhalten hätte. Die in Fällen der Rechtsanwalts- und Steuerberaterhaftung nach der Rechtsprechung des BGH auch für vorvertragliche Pflichtverletzungen (vgl. BGHZ 174, BGHZ Band 174 Seite 186 = NJW 2008, NJW Jahr 2008 Seite 1309 Rn. NJW Jahr 2008 Seite 1309 Randnummer 19) bestehende Beweiserleichterung für den Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises gilt nicht generell. Sie setzt einen Tatbestand voraus, bei dem der Ursachenzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung des Beraters und einem bestimmten Verhalten seines Mandanten typischerweise gegeben ist, beruht also auf den Umständen, die nach der Lebenserfahrung eine bestimmte tatsächliche Vermutung rechtfertigen (BGH, NJW 2015, NJW Jahr 2015 Seite 3447 Rn. NJW Jahr 2015 Seite 3447 Randnummer 25 ff. mwN). Um dies beurteilen zu können, müssen bestehende Handlungsalternativen miteinander verglichen werden, die nach pflichtgemäßer Beratung zur Verfügung gestanden hätten (BGH, NJW 2015, NJW Jahr 2015 Seite 3447 = NZG 2016, NZG Jahr 2016 Seite 74 Rn. NZG Jahr 2016 Seite 74 Randnummer 25 ff. mwN). Hiervon ausgehend sind in einer Sachverhaltskonstellation wie der vorliegenden die Regeln des Anscheinsbeweises unanwendbar. Bei sachgerechter Aufklärung über den Regelungsinhalt der §§ BRAO § 48, BRAO § 49 BRAO vor Unterzeichnung der Honorarvereinbarung hätte aus der Sicht eines vernünftig urteilenden Mandanten nicht eindeutig eine bestimmte tatsächliche Reaktion nahegelegen. Vielmehr kommen unter den Umständen des jeweiligen Einzelfalls unterschiedliche Schritte in Betracht; der Bekl. hat dem Kl. lediglich die erforderlichen fachlichen Informationen für eine sachgerechte Entscheidung nicht gegeben (vgl. BGH, NJW 2015, NJW Jahr 2015 Seite 3447 = NZG 2016, NZG Jahr 2016 Seite 74 Rn. NZG Jahr 2016 Seite 74 Randnummer 25 ff. mwN). Allerdings stellt die unterlassene Aufklärung des Mandanten über den Regelungsgehalt der §§ BRAO § 48, BRAO § 49 BRAO regelmäßig ein gewichtiges Indiz dafür dar, dass der Beschuldigte eine ihm angetragene Honorarvereinbarung bei pflichtgemäßer Aufklärung nicht unterzeichnet hätte. Ob allein hierauf eine Überzeugung vom Vorliegen der haftungsbegründenden Kausalität gestützt werden kann, was möglich erscheint, muss vom Tatrichter je nach den Umständen des Falls beurteilt werden. Der Bekl. kann sich auch nicht damit entlasten, er hätte – wie er vorgetragen hat – ohne Abschluss der Honorarvereinbarung auf seine Entpflichtung hingewirkt. Ob und inwieweit die Voraussetzungen hierfür vorliegen, wäre vielmehr Teil der dem Pflichtverteidiger vor Abschluss der Honorarvereinbarung obliegenden Aufklärung gewesen. Im Übrigen liegen die Voraussetzungen für einen Widerruf der Pflichtverteidigerbestellung aus wichtigem Grund im Sinne des gem. § BRAO § 49 BRAO anwendbaren § BRAO § 48 BRAO § 48 Absatz II BRAO oder im Sinne der in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze (vgl. BVerfG, NJW 1998, NJW Jahr 1998 Seite 444 = NStZ 1998, NSTZ Jahr 1998 Seite 46; NJW 1975, NJW Jahr 1975 Seite 1015; Laufhütte/Willnow in KK-StPO, § 143 Rn. KARLSKOSTPO STPO § 143 Randnummer 4 f.; BeckOK StPO/Krawczyk, 2018, § 143 Rn. BECKOKSTPO 2018 STPO § 143 Randnummer 6 ff.) nicht schon dann vor, wenn eine Verteidigung zu den für Pflichtverteidiger vorgesehen Gebühren nicht dessen wirtschaftlichen Interessen entspricht.
28Hinsichtlich eines möglichen Schadens weist der Senat darauf hin, dass der Geschädigte einer schuldhaften Pflichtverletzung bei Vertragsverhandlungen so zu stellen ist, wie er bei Offenbarung der für seinen Vertragsschluss maßgeblichen Umstände gestanden hätte (BGHZ 168, BGHZ Band 168 Seite 35 [BGHZ Band 168 39] = NJW 2006, NJW Jahr 2006 Seite 3139). Dies kann auch den geltend gemachten Zahlungsanspruch tragen.