BGH, Urteil v. 21. Juni 2018 – IX ZR 80/17
Pflicht des Anwalts zu Warnungen und Hinweisen außerhalb des Mandats
BGB §§ BGB § 242, BGB § 675;
TVöD-S § TVSOED § 33 TVSOED § 33 Absatz III
1.Der Rechtsanwalt ist nur dann zu Warnungen und Hinweisen außerhalb des ihm erteilten Mandats verpflichtet, wenn er die tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten kannte, aus denen die dem Mandanten drohende Gefahr folgte, oder wenn diese offenkundig waren.
2.Darlegungs- und beweispflichtig für die tatsächlichen Voraussetzungen einer über das Mandat hinausgehenden Warn- und Hinweispflicht des rechtlichen Beraters ist der Mandant.
BGH, Urteil vom 21.6.2018 – IX ZR 80/17
Zum Sachverhalt
Die beklagte Rechtsanwältin vertrat die Kl. gegenüber der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV). Die Kl., eine langjährige Sparkassenangestellte, hatte eine Erwerbsunfähigkeitsrente beantragt, die abgelehnt worden war. Die Bekl. legte für die Kl. Widerspruch gegen den ablehnenden Bescheid ein. Mit (Teilabhilfe-)Bescheid vom 10.4.2014 bewilligte die DRV der Kl. eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für den Zeitraum vom 1.10.2012 bis zum 30.9.2015. Diesen Bescheid leitete die Bekl. an die Kl. unter Hinweis darauf weiter, dass die Möglichkeit eines weiteren Widerspruchs bestehe. Mit Schreiben vom 11.4.2014 erteilte die DRV der Kl. folgende Hinweise:
„Bei Beschäftigten im öffentlichen Dienst ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Arbeitgeber prüfen muss, ob ein leistungsgerechter Teilzeitarbeitsplatz zur Verfügung gestellt werden kann. Teilweise Erwerbsgeminderte können aufgrund tarifvertraglicher Bestimmungen (zB § TVOED_AT § 33 TVOED_AT § 33 Absatz III Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst – TVöD) beim Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung auf einem geeigneten Teilzeitarbeitsplatz schriftlich beantragen. Gleiches gilt für Arbeitnehmer außerhalb des Öffentlichen Dienstes, in dessen Arbeitsvertrag auf die Bestimmungen des TVöD oder ähnliche Regelungen eines anderen Tarifvertrags Bezug genommen wird.
Ihre arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeit übersteigt ihr Leistungsvermögen. Wir fordern Sie daher auf, innerhalb von 14 Tagen nach Zugang dieses Schreiben bei Ihrem Arbeitgeber prüfen zu lassen, ob eine Teilzeitbeschäftigung im Rahmen der zumutbaren Zeitspanne von drei bis unter sechs Stunden täglich, gegebenenfalls auch auf einem anderen Arbeitsplatz möglich ist.
Sollte die Möglichkeit einer Teilzeitbeschäftigung nicht gegeben sein, könnte ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung – auf Zeit – bestehen (§ 43 II iVm § SGB_VI § 102 SGB_VI § 102 Absatz II SGB VI). Um den Anspruch hierauf prüfen zu können, bitten wir Sie, die Rückseite dieses Schreibens möglichst umgehend von Ihrem Arbeitgeber ausfüllen zu lassen und zurückzusenden.“
Dieses Schreiben übersandte die Bekl. der Kl. mit der Bitte, es ihrer Arbeitgeberin vorzulegen. Die Sparkasse füllte die Rückseite des zitierten Schreibens zunächst dahingehend aus, dass der Kl. vom 1.7.2014 an ein Teilzeitarbeitsplatz angeboten werden könne, dass Zeitdruck und Stressbelastung aber nicht ausgeschlossen werden könnten. Mit weiteren Schreiben vom 26.8.2014 und vom 26.9.2014 erklärte die Sparkasse, der Kl. werde kein Teilzeitarbeitsplatz angeboten, weil sie entgegen § TVSOED § 33 TVSOED § 33 Absatz III TVöD-S nicht innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Rentenbescheids einen Weiterbeschäftigungsantrag gestellt habe; gem. § TVSOED § 33 TVSOED § 33 Absatz II TVöD-S ruhe das Arbeitsverhältnis während des Zeitraums, in welchem die Rente gewährt werde. Der Antrag der Kl. auf Zuerkennung einer Rente wegen vollständiger Erwerbsminderung wurde durch Bescheid vom 26.11.2014 endgültig abgelehnt. Der Widerspruch der Kl. wurde mit Bescheid vom 9.4.2015 zurückgewiesen. Im Juni 2015 einigte sich die Kl. mit ihrer Arbeitgeberin dahingehend, dass das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 30.9.2015 endete und sie eine Abfindung von 70.000 Euro erhielt.
Die Kl. wirft der Bekl. vor, sie nicht auf die Notwendigkeit eines schriftlichen Weiterbeschäftigungsantrags innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § TVSOED § 33 TVSOED § 33 Absatz III TVöD-S hingewiesen zu haben. Sie hat Schadensersatz aus eigenem und fremdem Recht in Höhe von insgesamt 28.138,97 Euro nebst Zinsen sowie die Erstattung vorgerichtlich entstandener Anwaltskosten verlangt sowie beantragt festzustellen, dass die Bekl. verpflichtet sei, ihr alle künftigen Verdienstausfälle zu ersetzen, die aus der unterbliebenen Weiterbeschäftigung entstanden seien.
Die Klage ist in erster Instanz vor dem LG Hannover (Urt. v. 21.6.2016 – LGHANNOVER Aktenzeichen 20O18015 20 O 180/15, BeckRS 2016, BECKRS Jahr 132348) erfolglos geblieben. Auf die Berufung der Kl. hat das OLG Celle (Urt. v. 16.3.2017 – OLGCELLE Aktenzeichen 13U13516 13 U 135/16) die beantragte Feststellung getroffen und die Bekl. verurteilt, an die Kl. wegen des Verdienstausfalls im Zeitraum vom 1.4.2015 bis zum 30.6.2016 insgesamt 1665,20 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision begehrte die Bekl. die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Revision hatte Erfolg und führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit zum Nachteil der Bekl. erkannt worden ist, und zur Zurückverweisung der Sache an das BerGer.
Aus den Gründen
5I. Das BerGer. hat ausgeführt:
Die Bekl. habe eine Nebenpflicht aus dem Anwaltsvertrag mit der Kl. verletzt, indem sie nicht auf die Zwei-Wochen-Frist des § TVSOED § 33 TVSOED § 33 Absatz III TVöD-S hingewiesen habe. Auch bei einem eingeschränkten Mandat bestehe die Pflicht, den Mandanten vor offenkundigen Gefahren zu warnen, wenn dieser sich erkennbar der ihm drohenden Nachteile nicht bewusst sei. Die Kl. habe die Frist des § TVSOED § 33 TVSOED § 33 Absatz III TVöD-S ersichtlich nicht gekannt.
6II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen lässt sich eine Pflichtverletzung der Bekl. nicht bejahen.
7) Ihre Hauptpflichten aus dem Anwaltsvertrag hat die Bekl. nicht verletzt.
8a) Umfang und Inhalt der vertraglichen Pflichten eines Rechtsanwalts richten sich nach dem jeweiligen Mandat und den Umständen des einzelnen Falls (BGHZ 171, BGHZ Band 171 Seite 261 = NJW 2007, NJW Jahr 2007 Seite 2485 Rn. NJW Jahr 2007 Seite 2485 Randnummer 10). In den Grenzen des ihm erteilten Auftrags ist der Rechtsanwalt grundsätzlich zur allgemeinen, umfassenden und möglichst erschöpfenden Belehrung des Auftraggebers verpflichtet. Unkundige muss er über die Folgen ihrer Erklärungen belehren und vor Irrtümern bewahren. Er hat dem Mandanten diejenigen Schritte anzuraten, die zu dem erstrebten Ziele führen, und den Eintritt von Nachteilen oder Schäden zu verhindern, die voraussehbar und vermeidbar sind. Dazu hat er ihn auch über mögliche Risiken aufzuklären (BGHZ 171, BGHZ Band 171 Seite 261 = NJW 2007, NJW Jahr 2007 Seite 2485 Rn. NJW Jahr 2007 Seite 2485 Randnummer 9; Vill in G. Fischer/Vill/D. Fischer/Rinkler/Chab, HdB der Anwaltshaftung, 4. Aufl., § 2 Rn. 5 mwN in Fn. 48; Weinland in Henssler/Gehrlein/Holzinger, HdB der Beraterhaftung, Kap. 3 Rn. 92).
9b) Die Kl. hatte die Bekl. mit der Wahrnehmung ihrer Interessen gegenüber der DRV beauftragt. Die Bekl. hatte der DRV im November 2012 die Vertretung der Kl. angezeigt. Sie hatte namens und in Vollmacht der Kl. Widerspruch gegen einen ablehnenden Bescheid der DRV eingelegt und den Widerspruch begründet. Der Bescheid vom 10.4.2014, mit welchem die DRV eine zeitlich befristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bewilligt hatte, und das Begleitschreiben vom 11.4.2014 wurden der Bekl. übersandt.
10c) Die Frist des § TVSOED § 33 TVSOED § 33 Absatz III TVöD-S, deren Versäumung die Kl. der Bekl. anlastet, betraf nicht den Rentenanspruch der Kl. Sie regelte vielmehr die Wahrung der Rechte eines teilweise erwerbsgeminderten Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber. Nach § TVSOED § 33 TVSOED § 33 Absatz II TVöD-S endet ein Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Monats, in dem ein Rentenbescheid zugestellt wird, nach welchem der Beschäftigte ganz oder teilweise erwerbsgemindert ist. Im Fall teilweiser Erwerbsminderung endet oder ruht das Arbeitsverhältnis gem. § TVSOED § 33 TVSOED § 33 Absatz III TVöD-S nicht, wenn der Beschäftigte nach seinem vom Rentenversicherungsträger festgestellten Leistungsvermögen auf seinem bisherigen oder einem anderen geeigneten und freien Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden kann, soweit dringende dienstliche oder betriebliche Gründe nicht entgegenstehen, und der Beschäftigte innerhalb von zwei Wochen nach Zugang des Rentenbescheids seine Weiterbeschäftigung schriftlich beantragt. Die Kl. hätte also – jedenfalls dem Wortlaut der Vorschrift des § TVSOED § 33 TVSOED § 33 Absatz III TVöD-S nach (vgl. dazu das erst später ergangene Urteil BAGE 148, BAGE Band 148 Seite 357 = NZA 2014, NZA Jahr 2014 Seite 1341 Rn. NZA Jahr 2014 Seite 1341 Randnummer 66) – innerhalb von zwei Wochen nach Zugang des Rentenbescheids bei der Sparkasse schriftlich die Weiterbeschäftigung auf einen Teilzeitarbeitsplatz beantragen müssen, um ein Ende oder ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses zu verhindern. Das Arbeitsverhältnis der Kl. war jedoch nicht Gegenstand des Mandats. Die Kl. hatte die Bekl. nicht mit der Wahrung ihrer Rechte gegenüber ihrer Arbeitgeberin beauftragt.
11) Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen lässt sich die Verletzung vertraglicher Nebenpflichten aus dem Anwaltsvertrag nicht bejahen.
12a) Bei einem gegenständlich beschränkten Mandat kann der Rechtsanwalt zu Hinweisen und Warnungen außerhalb des eigentlichen Vertragsgegenstandes verpflichtet sein. Solche Warn- und Hinweispflichten knüpfen an das Informations- und Wissensgefälle zwischen dem Anwalt und seinem Mandanten an. Sie folgen aus § BGB § 242 BGB und sollen verhindern, dass das Ziel des Beratungsvertrags trotz der für sich genommen vertragsgemäßen Beraterleistung verfehlt wird. Voraussetzung derartiger Pflichten ist, dass die dem Mandanten drohenden Gefahren dem Anwalt bekannt oder für ihn offenkundig sind oder sich ihm bei ordnungsgemäßer Bearbeitung des Mandats aufdrängen; Voraussetzung ist weiter, dass der Anwalt Grund zu der Annahme hat, dass sein Auftraggeber sich der Gefahren nicht bewusst ist (BGH, VIZ 1998, VIZ Jahr 1998 Seite 571 = WM 1998, WM Jahr 1998 Seite 2246 [WM Jahr 1998 2247] mwN = NJW 1998, NJW Jahr 1998 Seite 3050 Ls.; vgl. auch BGH, NJW-RR 2008, NJW-RR Jahr 2008 Seite 1594 = WM 2008, WM Jahr 2008 Seite 1563 Rn. WM Jahr 2008 Seite 1563 Randnummer 15; NVwZ-RR 2017, NVWZ-RR Jahr 2017 Seite 608 = VersR 2018, VERSR Jahr 2018 Seite 31 Rn. VERSR Jahr 2018 Seite 31 Randnummer 48 mwN; Vill in G. Fischer/Vill/D. Fischer/Rinkler/Chab, § 2 Rn. 20; Zugehör, FS Ganter, 573 [576 f.]; Weinland in Henssler/Gehrlein/Holzinger, Kap. 3 Rn. 307; vgl. auch BGH, DStR 2018, DSTR Jahr 2018 Seite 982 = WM 2018, WM Jahr 2018 Seite 378 Rn. WM Jahr 2018 Seite 378 Randnummer 16 zu entsprechenden Pflichten eines Steuerberaters).
13b) Das BerGer. hat angenommen, dass die Kl. die kurze Frist des § TVSOED § 33 TVSOED § 33 Absatz III TVöD-S nicht kannte. Es hat die Hinweise der Bekl. nach Zugang des Rentenbescheids, insbesondere die Bitte, die Kl. möge das Schreiben der DRV vom 11.4.2014 der Arbeitgeberin vorlegen, für unzulänglich gehalten. Die Kl. habe weder dieser Bitte noch dem Inhalt des Schreibens der DRV die Notwendigkeit eines schriftlichen Weiterbeschäftigungsantrags innerhalb der Frist von 14 Tagen entnehmen können. Es fehlen jedoch Feststellungen, welche den Schluss darauf zuließen, dass die Bekl. die Gefahr kannte, welche der Kl. aufgrund der kurzen Frist des § TVSOED § 33 TVSOED § 33 Absatz III TVöD-S drohte, dass diese Gefahr offenkundig war oder dass sie sich ihr bei ordnungsgemäßer Bearbeitung des sozialversicherungsrechtlichen Mandats hätte aufdrängen müssen.
14aa) Nach dem revisionsrechtlich maßgeblichen Sachverhalt hat die Bekl. die der Kl. drohende Gefahr nicht erkannt. Darlegungs- und beweispflichtig für die tatsächlichen Umstände, aus denen Warn- und Hinweispflichten des Beraters über das ihm erteilte Mandat hinaus folgen, ist der Mandant. Es handelt sich um haftungsbegründende Umstände. Entsprechender Vortrag der Kl. aus den Tatsacheninstanzen ist in den Entscheidungen der Vorinstanzen nicht dokumentiert und weist auch die Revisionserwiderung nicht nach. Die Kl. hat also nicht behauptet, dass die Bekl. die Vorschrift des § TVSOED § 33 TVSOED § 33 Absatz III TVöD-S und die tatsächlichen Voraussetzungen ihrer Anwendbarkeit im vorliegenden Fall gekannt hätte.
15bb) Offenkundig sind die Gefahren, die Warn- und Hinweispflichten des Anwalts auslösen, wenn sie in engem Zusammenhang mit dem beschränkten Auftragsgegenstand stehen und für einen durchschnittlichen Berater auf den ersten Blick ersichtlich sind; sie müssen sich bei ordnungsgemäßer Bearbeitung des Mandates aufdrängen (BGH, NJW-RR 2012, NJW-RR Jahr 2012 Seite 305 Rn. NJW-RR Jahr 2012 Seite 305 Randnummer 6 mwN; Vill in G. Fischer/Vill/D. Fischer/Rinkler/Chab, § 2 Rn. 20 Zugehör, FS Ganter, 573 [577]; Weinland in Henssler/Gehrlein/Holzinger, Kap. 3 Rn. 308; vgl. auch BGH, DStR 2018, DSTR Jahr 2018 Seite 982 = WM 2018, WM Jahr 2018 Seite 378 Rn. WM Jahr 2018 Seite 378 Randnummer 17 mwN zur Steuerberaterhaftung).
16(1) Entgegen der in der Revisionserwiderung geäußerten Ansicht der Kl. musste sich der Bekl. die der Kl. drohende Gefahr des Endens oder Ruhens ihres Arbeitsvertrags dann, wenn nicht rechtzeitig ein schriftlicher Weiterbeschäftigungsantrag gestellt werden würde, nicht schon wegen der einschlägigen Rechtsprechung des BAG zum Erfordernis eines schriftlichen Weiterbeschäftigungsantrags aufdrängen. Das BAG hat zwar mehrfach entschieden, dass sich ein teilweise erwerbsgeminderter Angestellter nicht auf eine tarifvertraglich vorgesehene Weiterbeschäftigungsmöglichkeit berufen kann, wenn er seine Weiterbeschäftigung auf einem geeigneten Arbeitsplatz nicht innerhalb von zwei Wochen nach Zugang des Rentenbescheids schriftlich beantragt hat (vgl. etwa BAGE 113, BAGE Band 113 Seite 64 = NZA 2006, NZA Jahr 2006 Seite 211; BAGE 117, BAGE Band 117 Seite 255 = NJOZ 2008, NJOZ Jahr 2008 Seite 3179). Die Bekl. brauchte diese Entscheidungen nach dem revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Sachverhalt aber nicht zu kennen.
17(a) Der Rechtsanwalt muss über diejenigen Rechtskenntnisse verfügen, die für die ordnungsgemäße Bearbeitung seines jeweiligen Mandates erforderlich sind. Der Senat stellt in ständiger Rechtsprechung hohe Anforderungen an die Kenntnisse und Fähigkeiten des Rechtsanwalts. Der Rechtsanwalt muss die rechtlichen Grundlagen des Falls kennen, insbesondere die maßgeblichen Gesetze, untergesetzliche Rechtsnormen und private Rechtsquellen (BGH, NJW 2006, NJW Jahr 2006 Seite 501 = WM 2005, WM Jahr 2005 Seite 2197 [WM Jahr 2005 2198]; Weinland in Henssler/Gehrlein/Holzinger, Kap. 3 Rn. 158 mwN), die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung (BGHZ 145, BGHZ Band 145 Seite 256 [BGHZ Band 145 263] = NJW 2001, NJW Jahr 2001 Seite 146; BGHZ 178, BGHZ Band 178 Seite 258 = NJW 2009, NJW Jahr 2009 Seite 1593 Rn. NJW Jahr 2009 Seite 1593 Randnummer 9), etwa zu wahrende Fristen und das jeweilige Verfahrensrecht. Diese Kenntnisse und Fähigkeiten können jedoch nicht allgemein, jederzeit und unter allen Umständen verlangt werden. Solchen Anforderungen könnte niemand gerecht werden. Vielmehr sind sie auf das jeweilige Mandat zu beziehen. Die für die sachgerechte Bearbeitung des ihm erteilten Auftrags erforderlichen Kenntnisse muss sich der Anwalt, wenn sie nicht zu seinem präsenten Wissen gehören, ungesäumt verschaffen. Erforderlichenfalls muss er sich auch in eine Spezialmaterie einarbeiten (BGH, NJW 2006, NJW Jahr 2006 Seite 501 = WM 2005, WM Jahr 2005 Seite 2197 [WM Jahr 2005 2198] mwN; Fahrendorf in Fahrendorf/Mennemeyer, Die Haftung des Rechtsanwalts, 9. Aufl., Rn. 517; Vill in G. Fischer/Vill/D. Fischer/Rinkler/Chab, Rn. 53, 57; Weinland in Henssler/Gehrlein/Holzinger, Kap. 3 Rn. 156 f.). Ihre Rechtfertigung finden diese hohen Anforderungen darin, dass der Anwalt einen Auftrag ablehnen kann, wenn er sich nicht zutraut, ihn sachgerecht auszuführen; der Mandant kann sich dann einen anderen Anwalt suchen, der über die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt oder sie sich rechtzeitig im erforderlichen Umfang verschaffen kann.
18(b) Die vom Anwalt zu verlangenden mandatsbezogenen Kenntnisse kann und wird sich der Anwalt jedoch nur hinsichtlich des Gegenstands des Mandats verschaffen. Kenntnisse, die für die Beratung nicht erforderlich sind, die für den Mandanten aber gleichwohl nützlich sein könnten, braucht der Anwalt nicht zu haben; er ist auch nicht verpflichtet, sie aus Anlass des Mandates zu erwerben. Das gilt auch hier. Die Kl. hatte die Bekl. beauftragt, sie gegenüber der DRV zu vertreten. Im bisherigen Verlauf des Rechtsstreits hat die Kl. keine Tatsachen vorgetragen, die den Schluss auf eine aus diesem Auftrag folgende Verpflichtung der Bekl. zuließe, arbeitsrechtliche Bestimmungen, Tarifverträge und die Rechtsprechung des BAG zu einem rechtzeitigen schriftlichen Weiterbeschäftigungsantrag zur Kenntnis zu nehmen und auf ihre Relevanz für den vorliegenden Fall zu überprüfen.
19(2) Das tarifvertragliche Erfordernis eines schriftlichen Weiterbeschäftigungsantrags innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung eines Rentenbescheids über eine teilweise Erwerbsunfähigkeit gehört nicht zum juristischen Allgemeinwissen jedes Anwalts. Die Kl. hat bisher auch nicht behauptet, dass jedenfalls ein Anwalt, der einen Mandanten im Rahmen eines Antrags auf eine Erwerbsunfähigkeitsrente vertritt, über entsprechende Kenntnisse verfügt. Das könnte dann der Fall sein, wenn arbeitsrechtliche Vorfragen für die beantragte Rente von Bedeutung sind. Ein Rechtsanwalt, der den Titel eines Fachanwalts für Sozialrecht führen will, braucht gem. §§ FAO § 11, FAO § 5 FAO § 5 Absatz I Buchst. d FAO nur Kenntnisse und praktische Fälle aus den verschiedenen Bereichen des Sozialrechts nachweisen, nicht jedoch Kenntnisse und Fälle aus dem Bereich des Arbeitsrechts.
20(3) Im Rahmen der sachgerechten Bearbeitung des Mandats war die Bekl. allerdings verpflichtet, das Schreiben der Deutschen Rentenversicherung vom 11.4.2014 zur Kenntnis zu nehmen. In diesem Schreiben wird auf die Möglichkeit eines tarifvertraglichen Anspruchs gegen den Arbeitgeber auf Weiterbeschäftigung verwiesen, welcher sich aus § TVOED_AT § 33 TVOED_AT § 33 Absatz III TVöD ergebe oder aus anderen Tarifverträgen ergeben könne, die auf den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst verwiesen oder ähnliche Regelungen enthielten. Entgegen der Ansicht der Kl. war die Bekl. jedoch nicht gehalten, diese Vorschrift nachzulesen und zu prüfen, ob sie im Fall der Kl. anwendbar war und Anlass zu Warnungen und Hinweisen gab. Der diese Vorschrift enthaltende Absatz des genannten Schreibens betraf das Arbeitsverhältnis der Kl., auf das sich der Auftrag der Bekl. nicht bezog. Einfluss auf den Rentenanspruch der Kl., welchen die Bekl. zu betreuen hatte, hatte die Entscheidung des Arbeitgebers über die Teilzeitbeschäftigung nur insofern, als eine Ablehnung zu einem höheren Rentenanspruch führen konnte. Insoweit hat die Bekl. die Kl. gebeten, das Schreiben dem Arbeitgeber vorzulegen, und das hat die Kl. auch getan.
21III. Die angefochtene Entscheidung kann deshalb keinen Bestand haben. Sie ist im Umfang der Anfechtung aufzuheben (§ ZPO § 562 ZPO § 562 Absatz I ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, wird sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das BerGer. zurückverwiesen (§ ZPO § 563 ZPO § 563 Absatz I ZPO). Die Parteien müssen Gelegenheit erhalten, ergänzend zu den tatsächlichen Voraussetzungen einer auf den schriftlichen Weiterbeschäftigungsantrag nach § TVSOED § 33 TVSOED § 33 Absatz III TVöD-S bezogenen Warn- und Hinweispflicht der Bekl. vorzutragen. Zu weiteren Hinweisen sieht der Senat derzeit keinen Anlass.