Zur Unwürdigkeit, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben
Der Rechtsanwalt ist unabhängiges Organ der Rechtspflege, § 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO). Dieser Grundsatz schwebt über dem Berufsstand wie kaum ein anderer. Was es genau bedeutet, ein „Organ der Rechtspflege“ zu sein, ist dabei aus dem Gesetzeswortlaut nicht zu erkennen. Fest steht jedoch, dass klare aber auch weniger klare Grenzen existieren, an denen sich entscheidet, wann jemand in dieses Bild des Rechtsanwalts eben nicht mehr hinein passt.
Daher haben sich Rechtsanwaltskammern, die Anwaltsgerichte und der Anwaltsgerichtshof immer wieder und in großer Regelmäßigkeit mit Fällen zu befassen, wo es darüber zu entscheiden gilt, ob ein Rechtsanwalt zur Anwaltschaft zugelassen wird oder ein bereits zugelassener Rechtsanwalt seine Zulassung wieder verliert. Die Zulassung eines Rechtsanwalts kann nämlich gemäß § 14 BRAO mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen oder auch widerrufen werden. Hierzu gibt es etliche unterschiedliche Fallkonstellationen.
Dem angehenden Rechtsanwalt kann jedoch auch die Zulassung zur Anwaltschaft von vornherein gemäß § 7 BRAO versagt werden. Nach § 7 Nr. 5 BRAO kann die Zulassung insbesondere versagt werden, wenn der Bewerber sich eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn unwürdig erscheinen lässt, den Beruf eines Rechtsanwalts auszuüben.
Über einen solchen Fall hatte der Anwaltsgerichtshof Nordrhein-Westfalenkürzlich zu entscheiden. Die angehende Rechtsanwältin hatte sich nach Auffassung des Gerichts in der staatsanwaltlichen Ausbildungsstation in ihrem Rechtsreferendariat deswegen als unwürdig erwiesen, weil sie ihren Ausbilder beleidigt hatte und auch seitdem keine Reue zeigte. Die Bewerberin war mit der Bewertung ihrer Leistung nicht einverstanden und schickte ihrem Ausbilder eine Email in der es hieß:
„[…] Alles andere hätte mich sehr gewundert, denn Menschen, die miteinander Kaffee trinken und gemeinsam zu Mittag essen, pissen sich nicht gegenseitig ans Bein, nicht wahr?
[…] Sie sind ein provinzieller Staatsanwalt, der nie aus dem Kaff rausgekommen ist, in dem er versauert. Ihr Weltbild entspricht den des typischen deutschen Staatsbürgers von 1940. Mit Ihrem Leben und Ihrer Person sind Sie so zufrieden wie das Loch vom Plumpsklo.
Als Sie mich vor sich hatten, sind Sie vor Neid fast erblasst. Ich konnte Ihren Hass geradezu sinnlich wahrnehmen. Am liebsten hätten Sie mich vergast, aber das ist ja heute out.
Also taten Sie das einzige, wozu Ihnen Ihre begrenzte Position die Möglichkeit bietet: Sie stellten mir ein wirres Zeugnis aus, das an jeder Realität vorbeigeht.
Nun, ich beglückwünsche Sie zu diesem strahlenden Sieg, genießen Sie ihn aufrichtig, kosten Sie ihn bloß richtig aus – denn während es für mich nur ein unerhebliches Ärgernis ist (welches mich, zugegeben ziemlich in meinem Rechtsempfinden berührt), ist es für SIE der Höhepunkt Ihres Lebens. Etwas Schöneres wird Ihnen während Ihrer armseligen Existenz nie erfahren. […]“
Der Ausbilder stellte Strafantrag und die Bewerberin wurde wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Die bei der Rechtsanwaltskammer beantragte Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wurde abgelehnt. Im deswegen initiierten späteren Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof vertrat das Gericht die Auffassung, die Bewerberin sei für den Anwaltsberuf nach ihrer Gesamtpersönlichkeit nicht tragbar.
Zwar steht hier fest, dass dieses Verhalten eine Straftat feststellte. Über die Berechtigung, die Zulassung zur Anwaltschaft deswegen zu versagen, streiten sich die Vertreter der Rechtswissenschaft jedoch. Denn einerseits stellt nicht jede Straftat einen Versagungsgrund dar und zum anderen fragt sich, ob für einen Bewerber für die Anwaltschaft dieselben Maßstäbe anzulegen sind, wie für einen bereits zugelassenen Rechtsanwalt. Denn es darf mit Recht danach gefragt werden, ob die Regeln der BRAO auch schon für jemanden gelten, der zu diesem Zeitpunkt noch weit entfernt davon ist, Rechtsanwalt zu sein. Die Referendarin hatte noch nicht einmal das zweite Staatsexamen bestanden – ihr Verhalten in der Ausbildung wird jedoch im Nachhinein an den für zugelassene Rechtsanwälte geltenden Regeln gemessen. Zumindest aus diesem Blickwinkel darf die Entscheidung als fragwürdig angesehen werden.